Über vier Jahre Haft
Belastungszeuge aus „Hanna“-Prozess in Traunstein verurteilt
Wegen vielfachen sexuellen Missbrauchs von Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren während Chats … im Internet verhängte die Hilfsjugendkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Dr. Ralf Burkhard am Donnerstag gegen einen 24-jährigen Mühldorfer eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten.
Der 24-Jährige hatte in den letzten Monaten eine gewisse Bekanntheit erlangt. Während der Untersuchungshaft seit 3. November 2022 in der Justizvollzugsanstalt Traunstein hatte sich ihm Ende 2022 ein Mithäftling offenbart – der inzwischen 22-jährige Aschauer Sebastian T., den die Zweite … Jugendkammer … wegen Mordes … verurteilt hat.
Mühldorfer sagte glaubhaft im Hanna-Prozess aus
Der Schuldspruch des Auszubildenden [Sebastian T.] beruhte maßgeblich auf der belastenden und nach Überzeugung des Gerichts voll glaubhaften Aussage des 24-Jährigen. … Der gestrige Prozess hatte mit dem „Eiskeller-Mord“ … nichts zu tun. Die einzige Verbindung war: Auch in dieser Verhandlung wirkte der 24-Jährige sehr glaubwürdig, bedacht und ernsthaft.
Die Anklageschrift von Staatsanwältin Helena Neumeier umfasste 15 Missbrauchsfälle an Kindern „ohne Körperkontakt“ …
24-Jähriger machte reinen Tisch
Der 24-Jährige gab sich am Donnerstag voll einsichtig, ließ nicht seinen Verteidiger Michael Vogel aus Traunstein eine pauschale Erklärung abgeben. Vielmehr machte er selbst reinen Tisch. Der 24-Jährige verschickte zum Beispiel pornografische Videos, auf denen er sich selbst bis zum Samenerguss befriedigte. Von den minderjährigen Geschädigten verlangte er in den Chats entsprechende Filmchen und Fotos. Dabei diktierte er den Opfern, was er sehen wollte.
Widersetzten sich die Kinder, baute er ein Drohszenario auf. Er kündigte etwa an, ihre Nacktbilder ins Netz, in einem Fall auf eine Pornoseite, zu stellen oder der Mutter zu schicken. Oder Personen würden kommen, um die Mädchen zu verprügeln.
Junge Opfer fand er in Snapchat und WhatsApp-Gruppen
Schließlich schreckte er auch nicht vor einer üblen Mitleidsmasche zurück. Er, in einem Fall sein „Bruder“, habe Krebs im Endstadium und wolle einmal im Leben noch gewisse „Erfahrungen“ machen, ehe er sterbe. Manchmal gab sich der 24-Jährige als gleichaltrig aus, mal als Mädchen, mal als Junge. Seine potenziellen Opfer fand der Mühldorfer in Snapchat und in WhatsApp-Gruppen. … Die verschiedenen Drohungen habe er „nie wahrgemacht“, beteuerte der Angeklagte. …
„Mir ging es nicht darum, Kinder nackt zu sehen.“
Zum Hintergrund gefragt meinte der 24-Jährige: „Mir ging es nicht darum, Kinder nackt zu sehen. Vielleicht habe ich mich für dieses Alter entschieden, weil der Kontakt leichter ging als bei Erwachsenen. Ich wollte nicht immer ausgeschlossen sein.“ Und weiter: „Was ich getan habe, ist nicht zu rechtfertigen. Ich weiß nicht, was mich getrieben hat. Das Sexuelle war nicht der Grund.“
Er habe eine schlechte Kindheit gehabt und sich selbst als Opfer gesehen. Er sei psychisch krank, selbst missbraucht worden, habe die Familie mit 13 Jahren verlassen, im Heim, teils auf der Straße und zeitweise in einer therapeutischen Wohngruppe gelebt. 2022 habe er letztere verlassen müssen. Zu der Zeit habe er nicht mehr weiter gewusst: „Ich hatte Wut, ich weiß nicht, auf was, und hatte keine Ziele mehr.“
Inhaftierung habe sein Leben „gerettet“
Die Inhaftierung habe sein Leben „gerettet“. Während der Untersuchungshaft habe er psychologische Hilfe gesucht. Die Taten belasteten ihn, die Folgen für die Mädchen seien ihm erst im Gefängnis klar geworden. Nach der Haft wolle er in eine therapeutische Wohngemeinschaft ziehen, sich behandeln lassen und etwas aufbauen – wieder als Schausteller arbeiten und eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer absolvieren. …
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Der psychiatrische Sachverständige Professor Dr. Michael Soyka aus München bestätigte psychische Probleme des Angeklagten und seine Lebensgeschichte ohne Bindungen an Angehörige. Es liege „keine klassische Pädophilie“ vor: Die Persönlichkeitsstörungen stünden im Vordergrund, seien aber nicht von Krankheitswert.“
Staatsanwältin: Mädchen waren leichte Beute für ihn
Staatsanwältin Helena Neumeier plädierte auf fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Die Mädchen seien für den 24-Jährigen „leichte Beute“ gewesen. Zugunsten zu werten seien das Geständnis, die Einsicht, die Reue, das Nachtatverhalten mit Aufklärungshilfe in dem Mord-Verfahren – obwohl er mit negativen Folgen in der JVA rechnen musste. Unter den strafschärfenden Aspekten nannte die Anklägerin das Alter der Opfer, die Drohungen, das planvolle Vorgehen, die hohe kriminelle Energie.
Verteidigerin von Sebastian T. stürmt in Gerichtssaal
Der Verteidiger unterstrich das frühe Geständnis im Ermittlungsverfahren. 15 Mädchen hätten nicht aussagen müssen. Im Internet werde es Tätern leicht gemacht – „wenn Zehnjährige nachts am Handy chatten“. Sein Mandant habe in der Haft an sich gearbeitet. Die Aussage in dem Mord-Prozess sei ihm nicht leicht gefallen. Um 16 Uhr, mitten im Plädoyer Vogels auf eine Freiheitsstrafe von nicht über drei Jahren, stürmte die Wahlverteidigerin von Sebastian T. mit lautem Türknallen in den Sitzungssaal. Sie hatte den jetzigen Angeklagten als „notorischen Lügner“ bezeichnet.
Im Urteil würdigte Vorsitzender Richter Dr. Ralf Burkhard das frühe Geständnis. Der Sachverhalt decke sich mit dem der Anklage. Neben der langen Dauer der Untersuchungshaft seien die erschwerten Bedingungen zu sehen. Die Aussage in dem Mordprozess habe im Gefängnis vermutlich schnell die Runde gemacht. Dort gelte der Grundsatz: „Ein Gefangener hängt einen anderen nicht hin.“ Weiter habe der 24-Jährige noch in der Haft die Grundlagen geschaffen für die spätere Entlassung. Zum Motiv meinte Dr. Burkhard: „Die Taten waren sexuell motiviert, hatten aber auch den Grund, im Machtgefüge oben zu stehen.“
PNP.de am 19.04.2024
https://www.pnp.de/lokales/landkreis-tr ... t-15877167