von HP1 » Freitag, 05. September 2025, 09:01:17
@Hamburger Danke für deine Einwände
Das kam vielleicht falsch rüber mit dem "Dulli" - ich meine nicht, dass der Täter explizit dumm im Sinne von allgemein geistig minderbegabt oder naiv, einfältig wäre. Schon möglich, dass er keine große Leuchte ist, aber das ist hier gar nicht entscheidend.
"Dulli" kenne ich eher als Bezeichnung für einen beliebigen Typen ohne bemerkenswerte Eigenschaften, die eine Rolle spielen würden/müssten. Stimmt natürlich nicht im Hinblick auf die fortgesetzte Entscheidung (basiert eher auf Unfähigkeit als Entscheidung, meine ich) für einen Vertuschungs-Blindflug anstatt die Konsequenzen für sein Handeln in Kauf zu nehmen, zunächst nicht mehr als eine heftige Ohrfeige im Affekt. Sehr unschön, aber überschaubar. Das ist schon bemerkenswert.
Nein, gemeint ist, hier wird oft schnell jedes sichtbare oder postulierte Entscheiden und Handeln des Täters als durchdacht, vernünftig absichtsvoll, mit realistischer Risikoeinschätzung usw. angenommen und entsprechend interpretiert, im ganzen Ablauf zuverlässig einem gegebenen und fehlerfreien Masterplan folgend, so in etwa. Nur weil Frauke am Ende tot ist und der Fall bis heute nicht aufgeklärt ist, heißt das doch lange nicht, dass hier eine Tat ganz nach den Wünschen und Vorstellungen des Täters erfolgreich verlaufen sein muss. Doch genau das scheint hier manchmal die stille, implizite Voraussetzung zu sein, oder nicht?
Und gerade das ist bei einem Täter, der ungeplant in die Tat einsteigt und das vorab gar nicht angestrebt hatte, nicht zu erwarten. Ein durchschnittlicher Typ ("Dulli") ist da doch maximal im Stress, empfindet Entdeckungsangst und resultierend Handlungsdruck ohne einen Plan, wie er sein Ziel erreichen soll, in welche Richtung er sein Handeln lenken soll. Zunächst mal Aufrechterhalten des Status Quo, mehr ist da nicht. Fraukes Tod als Option oder gar Zielsetzung kam in diesem Szenario erst später, meine ich, breite ich hier jetzt aber nicht nochmal aus.
Hamburger hat geschrieben: ↑Freitag, 05. September 2025, 03:17:49
Ein unterdurchschnittlich intelligenter Täter hätte vermutlich nicht viel verdient und eher in einem einfachen Mietshaus ohne Tiefgarage gelebt.
(...)
Lassen wir das "unterdurchschnittlich intelligent" weg, dann stimmt der Einwand natürlich trotzdem, wenn man von einem eher jungen Mann ausgeht, der irgendwo im KH arbeitet - im Zweifelsfall in der Pflege, ist aber offen.
Klar, in einem Mehrparteienhaus, wo er mit ihr durch ein Treppenhaus muss, oder nur ein Kellerabteil neben denen der anderen Bewohner hat usw., das funktioniert nicht.
Wie wäre es mit einem jungen Mann, der noch bei seinen Eltern (in deren EFH) wohnt, möglicherweise ist er sogar selbst noch Azubi, vielleicht anderer Jahrgang als Frauke, oder Berufsanfänger frisch aus der Ausbildung. Vielleicht bewohnt er dort eine Soutterain-ELW mit direktem Zugang zum Keller, zur Garage, die Eltern sind gewohnt, dass er laut Musik hört und öfters auch später Abends noch losfährt, während der WM vielleicht sowieso zum feiern, vielleicht sind die Eltern in Urlaub... Schon richtig, die Möglichkeit Frauke unbemerkt eine Woche in einem EFH unterzubringen wie von dem PM behauptet, die haben die meisten nicht (übrigens auch Ältere/besser Verdienende nur vereinzelt, die meisten leben da entweder nicht allein oder bewohnen alleinlebend dann kein ganzes Haus). Aber es kann doch schon sein, dass er in dem Punkt einfach "Glück" hatte, diese Möglichkeit zur Hand zu haben. Ist jetzt ja nicht so, dass man da wunder weiß welche unplausiblen oder extremen Vorannahmen zusammenstricken müsste, um das als Möglichkeit zu rechtfertigen. Aber völlig richtig, ist ein Punkt wo die Pünktchengeschichte nicht unbedingt die Frage nach hoher Wahrscheinlichkeit bedient. Wär ja auch zu glatt, wenn dem seine Geschichte an allen Stellen maximal wahrscheinlich wäre
Hamburger hat geschrieben: ↑Freitag, 05. September 2025, 02:51:00
(...)
2.
Zwischen dem Verlassen des Pubs und dem Versand der 1. SMS lagen etwa 2 Stunden.
Nach dem Szenario von @HP1 müsste sich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in diesen 2 Stunden folgendes abgespielt haben: Der Täter müsste mit Frauke irgendwo hingefahren sein, wo er sie belästigen und schlagen konnte, ohne dass es Frauke möglich gewesen wäre, zu fliehen oder andere zu Hilfe zu rufen.
Danach wäre er erstmal hilflos mit Frauke durch die Gegend gefahren – aber innerhalb kürzester Zeit sollte er trotz seiner Dummheit und Aufregung auf die Idee gekommen sein, Frauke ihrem Mitbewohner eine SMS schicken zu lassen. Das erscheint mir als reichlich unwahrscheinlich.
Nein, nicht ganz. Ich orientiere mich da schon an der Erzählung des PM, auch wenn ich das ursprünglich mal so modelliert hatte, dass man etwa zum Mecces rausgefahren ist und der Konflikt erst dort irgendwo entstand.
"Mit ihr irgendwo hingefahren, wo er sie belästigen und schlagen konnte" ist doch genau wieder die Einwertung seines Handelns als geplant böse-absichtsvoll, souverän. Man was auf dem Uni-Parkplatz, er hat sexuelles Interesse gezeigt (ob in belästigender Weise, nicht zu sagen), sie lehnt ab, er schlägt im Affekt zu, aus Frust oder meinetwegen verletzten Gefühlen. Wie man von diesem Punkt dahin kommt, dass sie mit ihm mitfährt, tatsächlich etwas nebulös. Frauke soll nach dem Schlag perplex, fassungslos gewesen sein. Saß man bei dem Schlag bereits im Auto oder nicht?
Jedenfalls die Situation an der Stelle und bis auf weiteres keinesfalls ein hartes "ich lasse dich nicht mehr gehen, und wenn ich dich umbringen muss", eher habe ich das Bild vor Augen, dass er sich sofort (aus Angst vor den Konsequenzen) wortreich entschuldigt und realisiert, wenn sie jetzt heimgeht, fragt sie jeder wegen der dicken, vermutlich aufgeplatzten Lippe oder so. Losfahren "um nachzudenken", um mit ihr zu klären, sich zu versichern, dass sie nichts sagt, oder auch, weil dort auf dem Parkplatz jederzeit wer vorbeikommen und Fragen stellen könnte, angesichts einer heulenden und verletzten Frauke? Dass Frauke da mitzieht, sich seinem "Plan", seiner Aktivität zur Suche eines folgenlosen Verlaufs unterordnet anstatt auszurasten und das Weite zu suchen, erscheint erstmal völlig unplausibel. Aber auch da ist der Haken, dass man Frauke in dem Moment dieser Situation nicht unbedingt als rational und vor allem beherzt-durchsetzungsstark voraussetzen kann. Nein, ich sehe Frauke da als unter Schock, überfordert, für den Moment (oder auch noch eine Zeitlang darüber hinaus) nicht oder nur eingeschränkt zu beherztem Handeln und Widerspruch in der Lage. Das wäre nicht so abwegig, dass sie, wenn sie sich eigentlich vorher mit dem Typen gut verstanden hat und er sich nach der Schelle sofort groß und bestürzt entschuldigt hat, den gar nicht in dem Maße als unmittelbare Gefahr wahrnimmt und in ihrer Überforderung seiner plötzlichen Aktivität (losfahren, nachdenken, besprechen/klären) folgt. Zu dem Zeitpunkt und genauso noch 0.49 Uhr im Raum Nieheim, Frauke mag sich da etwas gefasst haben, der Typ ist zwar maximal in Unruhe, hat aber keine weitere gegen sie gerichtete Haltung/Handlung gezeigt. Da besteht bei beiden noch keinerlei Perspektive, dass das der Anfang einer fortgesetzten Freiheitsberaubung sein könnte. Für Frauke ist ohne groß drüber nachzudenken selbstverständlich, dass sie zeitnah wieder zu Hause sein wird, auch wenn die Situation da noch ungeklärt ist. Ist einfach so eine Normalitätsannahme die eintritt, wenn die Alternative zu crazy ist, gedanklich nicht fassbar in dem Moment. Dass sie dann die SMS an Chris schickt, passend. Erstmal dem Mitbewohner Bescheid sagen, der wartet ja. Kein gesehener Anlass für einen "Hilferuf", sie kann ihm berichten wenn sie (als selbstverständlich angenommenes) "nachher" wieder zu Hause ist, oder auch nichts erzählen - nicht zu sagen, wie sie da zu des Täters Ansinnen steht, dass die Schelle folgenlos bleiben soll. Dennoch, sie ist aufgewühlt, im Moment die Situation weit wichtiger und präsenter als der wartende Chris, mir gut denkbar, dass sie da die bereits erhebliche Verspätung und den deshalb unpassend wirkenden Text nicht so realisiert. Und wenn sie da nicht weiß, wie es grad weitergeht, was soll sie da auch anders schreiben als nur "komme später"? Und der Täter, was sollte er dagegen gehabt haben? Ortung kein Thema - nicht weil Nieheim eh nicht mit ihm in Verbindung steht, sondern weil fortgesetzte Entführung noch gar nicht auf dem Schirm. Klar wird er geschaut haben, was sie schreibt und hätte bei einem Hilferuf, Äußerungen über das Geschehene, wohl interveniert. Aber so, warum nicht? Wir befinden uns da noch in einer Situation, die zwar hoch konfliktär ist, die aber in der Wahrnehmung Fraukes wie des Täters nach wie vor sozusagen ganz in der Alltagsnormalität gerahmt, eingebettet ist.
Wie es dann weitergeht, so dass Frauke die ganze Nacht und auch den nächsten Tag (Mittwoch) nicht heimkommt, stattdessen im Handlungsbereich des Täters vom Radar verschwindet - das ist eine Black Box, da wird sie an einem (mMn eher frühen, aber ich weiß es nicht) Zeitpunkt protestiert haben, "die Schnauze voll gehabt" haben. an einem Punkt muss er da zu offenem Zwang übergegangen sein, die Frage, wie sie denn mit dicker Lippe folgenlos wieder nach Hause könne nach wie vor ungelöst, Frauke mittlerweile wieder selbstbewusster und aufgebracht, vielleicht konnte er sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie ihn nicht anzeigen würde, oder so?
Keine vorausgeplante Tat, kein fester Zeitpunkt, wo es mit einem "klick" von entspannt zwanglos zu 100% Zwang und Freiheitsberaubung gegen den Willen Fraukes geswitcht hätte, kein bedacht-vernünftiges Wahrnehmen der Situation mit guten Entscheidungen - bei beiden nicht, wenn man so will. Beide überfordert von der mit der Schelle unvermittelt gekippten, eskalierten Situation, er verfällt aus Angst alternativlos in Vertuschungsaktivität, sie ordnet sich unter Überforderung/Schock dem fürs erste unter, folgt dem, vielleicht ohne es groß zu hinterfragen. Ist übrigens keine seltene Spontanreaktion bei Opfern etwa sexueller Übergriffe aus dem sozialen Umfeld, dass sie sich das Narrativ, die Interpretation und Rechtfertigung des Täters erstmal zu eigen machen, oder seine Entschuldigung annehmen - einfach weil sich die Alternative schlimmer anfühlt. Dass das psychisch-emotional so nicht funktioniert, erleben sie dann erst im weiteren Nachgang.
So, da habe ich jetzt wieder länger drauflosgeschrieben. Kann im Detail natürlich auch anders sein (oder die Story ist generell unzutreffend, natürlich, wir reden hier ja nach wie vor immer nur von Möglichkeiten), macht wenig Sinn, da jedes Detail hinsichtlich möglicher Varianten zu diskutieren. Grundidee und Gesamtbild sind da entscheidend.
Hamburger hat geschrieben: ↑Freitag, 05. September 2025, 04:19:00
Nach meiner Ansicht übersieht Du einen wichtigen Unterschied. Die polizeilichen Entwicklungen wären vermutlich anders verlaufen, wenn Frauke nach dem Pubbesuch "spurlos" verschwunden wäre und es die 1. SMS und die Anrufe nicht gegeben hätte.
In diesem Fall wären die Polizei und die Öffentlichkeit von dem
Nachhauseweg als Tatort ausgegangen und die Ermittlungen hätten sich auf die Umgebung des Pubs und den anschließenden Weg (bzw. die möglichen Wege) konzentriert.
(...)
Mag sein, aber das ist hier nicht der Punkt, kein "was wäre wenn". Es geht darum, dass die tatsächlich stattgefundenen Anrufe ein auffälliges und eindruckstarkes Alleinstellungsmerkmal sind, während die anderen uns tatsächlich bekannten Details dünn und im Vergleich mit anderen gelösten oder ungelösten Vermissten- oder Mordfällen nicht bemerkenswert, sondern quasi recht beliebig daherkommen.
Hamburger hat geschrieben: ↑Freitag, 05. September 2025, 04:19:00
Der 1. Anruf erfolgte
einige Stunden, nachdem die Polizei die Aufnahme von Ermittlungen öffentlich bekanntgegeben hatte. Das Lebenszeichen der Anrufe führte zur Entwarnung bei der Polizei – und ich glaube, es ist doch recht wahrscheinlich, dass genau das auch die Absicht des Täters war.
Das sehe ich auch so, aber in der Hypothese eines Tatgeschehens gemäß dem PM vielleicht in einem etwas anderen Gesamtbild als du. Ja, Entwarnung, vorgebliche Freiwilligkeit/Selbstbestimmtheit Fraukes auf jeden Fall. Aber nicht in dem Sinne, eine vorgesehene fortgesetzte Freiheitsberaubung mit abschließendem Mord der erfolgreichen polizeilichen Ermittlung zu entziehen, genau das ist wieder das planvoll-zielgerichtete Handeln, ein "die Tat begehen
wollen", das beim Täter immer wieder automatisch angenommen wird. Sondern weil es mit dem offiziellen und öffentlich gemachten Verdacht einer Freiheitsberaubung genau in die entgegengesetzte Richtung geht dessen, was der Täter will, nämlich das Ganze ("eigentlich doch nur eine Ohrfeige, ich will sie doch gar nicht festhalten, ich/wir suchen doch nur nach einer Lösung"...) folgenlos beenden, quasi ungeschehen machen. Dass er da keinen realistischen Plan hat, wie das ablaufen sollte, einerlei. Der hat sich da in eine Vermeidung/Vertuschung reinmanövriert und weiß nicht, wie er da wieder rauskommen soll. Nur, dass es mit der öffentlichen Aufmerksamkeit und Deutung ihres Verschwindens als mutmaßlichem Verbrechen immer schlimmer wird. Und Frauke? So lang er keinerlei Anzeichen/Konsequenz erkennen lässt, dass das Ganze in ihrem Tod statt Freilassung enden könnte, für sie auch ein undenkbarer Ausgang. sofern er ihr gegenüber nicht klar aggressiv, drohend, ggf. gewalttätig auftritt, ist mitziehen und kooperieren, bis er zur Einsicht kommt oder so vielleicht nicht das Verkehrteste. Vielleicht war der auch cholerisch drauf, friedlich solang sie mitzieht, aber sofort bedrohlich, wenn ihm ihre Äußerungen nicht gepasst haben? Klar muss er auf eine Weise die Kontrolle ausgeübt haben, Frauke wäre garantiert abgehauen, wenn sie gekonnt hätte. Aber ab wann? Insbesondere dass sie bei den Anrufen kooperiert und da nichts von ihrer tatsächlichen Lage preisgibt, sondern nur ihre baldige Heimkehr (von der sie da auch nach wie vor ausgeht, bis Sonntag) ankündigt - die wären da doch auch ganz in ihrem Interesse, sie unterstützen und explizieren die gemeinsame(!) Zielsetzung nach einem "guten Ende".
Ist natürlich in sofern vage, als dass man sich da nur schwer vorstellen kann, wie das da im tatsächlichen "Entführungsalltag" praktisch ausgesehen haben soll. Zumindest meine Vorstellungskraft findet da zu keinem klaren Bild, meine (zumindest eingebildete) Fähigkeit, mich hineinzuversetzten, kommt da klar an ihre Grenzen. Dennoch, diese offene Frage betrifft doch im Zweifel jeden Hergang mit einem Einzeltäter, in weiten Teilen genauso bei mehreren Tätern. Wie wurde sie festgehalten, wie wurden die Anruffahrten durchgeführt, wie hier Fraukes Kooperation erreicht usw.
Mit einer Frauke, die zunächst selbstverständlich davon ausgeht, dass das soweit gut ausgehen wird, für die ihr Tod als Abschluss zunächst undenkbar ist, die vielleicht viel eher erwartet, dass der Täter von selbst drauf kommt, dass er keine Wahl hat "aufzugeben" - mit so einer Frauke sollte das alles doch im Grunde viel eher einfacher zu handhaben gewesen sein, oder nicht?

Aber nein, wir orientieren uns immer wieder an der gedanklichen Vorlage eines bösartig auftretenden, alle Widerstände mit Zwang brechenden und den Verlauf auf ein gesetztes Ziel hin souverän bestimmenden Täters. Und folgerichtig notwendigerweise auf ein willenloses, zum Geschehen nichts beitragenden marionettengleichen Opfers.
@Hamburger Danke für deine Einwände :)
Das kam vielleicht falsch rüber mit dem "Dulli" - ich meine nicht, dass der Täter explizit dumm im Sinne von allgemein geistig minderbegabt oder naiv, einfältig wäre. Schon möglich, dass er keine große Leuchte ist, aber das ist hier gar nicht entscheidend.
"Dulli" kenne ich eher als Bezeichnung für einen beliebigen Typen ohne bemerkenswerte Eigenschaften, die eine Rolle spielen würden/müssten. Stimmt natürlich nicht im Hinblick auf die fortgesetzte Entscheidung (basiert eher auf Unfähigkeit als Entscheidung, meine ich) für einen Vertuschungs-Blindflug anstatt die Konsequenzen für sein Handeln in Kauf zu nehmen, zunächst nicht mehr als eine heftige Ohrfeige im Affekt. Sehr unschön, aber überschaubar. Das ist schon bemerkenswert.
Nein, gemeint ist, hier wird oft schnell jedes sichtbare oder postulierte Entscheiden und Handeln des Täters als durchdacht, vernünftig absichtsvoll, mit realistischer Risikoeinschätzung usw. angenommen und entsprechend interpretiert, im ganzen Ablauf zuverlässig einem gegebenen und fehlerfreien Masterplan folgend, so in etwa. Nur weil Frauke am Ende tot ist und der Fall bis heute nicht aufgeklärt ist, heißt das doch lange nicht, dass hier eine Tat ganz nach den Wünschen und Vorstellungen des Täters erfolgreich verlaufen sein muss. Doch genau das scheint hier manchmal die stille, implizite Voraussetzung zu sein, oder nicht?
Und gerade das ist bei einem Täter, der ungeplant in die Tat einsteigt und das vorab gar nicht angestrebt hatte, nicht zu erwarten. Ein durchschnittlicher Typ ("Dulli") ist da doch maximal im Stress, empfindet Entdeckungsangst und resultierend Handlungsdruck ohne einen Plan, wie er sein Ziel erreichen soll, in welche Richtung er sein Handeln lenken soll. Zunächst mal Aufrechterhalten des Status Quo, mehr ist da nicht. Fraukes Tod als Option oder gar Zielsetzung kam in diesem Szenario erst später, meine ich, breite ich hier jetzt aber nicht nochmal aus.
[quote=Hamburger post_id=303957 time=1757035069 user_id=10025]
Ein unterdurchschnittlich intelligenter Täter hätte vermutlich nicht viel verdient und eher in einem einfachen Mietshaus ohne Tiefgarage gelebt.
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Lassen wir das "unterdurchschnittlich intelligent" weg, dann stimmt der Einwand natürlich trotzdem, wenn man von einem eher jungen Mann ausgeht, der irgendwo im KH arbeitet - im Zweifelsfall in der Pflege, ist aber offen.
Klar, in einem Mehrparteienhaus, wo er mit ihr durch ein Treppenhaus muss, oder nur ein Kellerabteil neben denen der anderen Bewohner hat usw., das funktioniert nicht.
Wie wäre es mit einem jungen Mann, der noch bei seinen Eltern (in deren EFH) wohnt, möglicherweise ist er sogar selbst noch Azubi, vielleicht anderer Jahrgang als Frauke, oder Berufsanfänger frisch aus der Ausbildung. Vielleicht bewohnt er dort eine Soutterain-ELW mit direktem Zugang zum Keller, zur Garage, die Eltern sind gewohnt, dass er laut Musik hört und öfters auch später Abends noch losfährt, während der WM vielleicht sowieso zum feiern, vielleicht sind die Eltern in Urlaub... Schon richtig, die Möglichkeit Frauke unbemerkt eine Woche in einem EFH unterzubringen wie von dem PM behauptet, die haben die meisten nicht (übrigens auch Ältere/besser Verdienende nur vereinzelt, die meisten leben da entweder nicht allein oder bewohnen alleinlebend dann kein ganzes Haus). Aber es kann doch schon sein, dass er in dem Punkt einfach "Glück" hatte, diese Möglichkeit zur Hand zu haben. Ist jetzt ja nicht so, dass man da wunder weiß welche unplausiblen oder extremen Vorannahmen zusammenstricken müsste, um das als Möglichkeit zu rechtfertigen. Aber völlig richtig, ist ein Punkt wo die Pünktchengeschichte nicht unbedingt die Frage nach hoher Wahrscheinlichkeit bedient. Wär ja auch zu glatt, wenn dem seine Geschichte an allen Stellen maximal wahrscheinlich wäre ;)
[quote=Hamburger post_id=303956 time=1757033460 user_id=10025]
(...)
2.
Zwischen dem Verlassen des Pubs und dem Versand der 1. SMS lagen etwa 2 Stunden.
Nach dem Szenario von @HP1 müsste sich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in diesen 2 Stunden folgendes abgespielt haben: Der Täter müsste mit Frauke irgendwo hingefahren sein, wo er sie belästigen und schlagen konnte, ohne dass es Frauke möglich gewesen wäre, zu fliehen oder andere zu Hilfe zu rufen.
Danach wäre er erstmal hilflos mit Frauke durch die Gegend gefahren – aber innerhalb kürzester Zeit sollte er trotz seiner Dummheit und Aufregung auf die Idee gekommen sein, Frauke ihrem Mitbewohner eine SMS schicken zu lassen. Das erscheint mir als reichlich unwahrscheinlich.
[/quote]
Nein, nicht ganz. Ich orientiere mich da schon an der Erzählung des PM, auch wenn ich das ursprünglich mal so modelliert hatte, dass man etwa zum Mecces rausgefahren ist und der Konflikt erst dort irgendwo entstand.
"Mit ihr irgendwo hingefahren, wo er sie belästigen und schlagen konnte" ist doch genau wieder die Einwertung seines Handelns als geplant böse-absichtsvoll, souverän. Man was auf dem Uni-Parkplatz, er hat sexuelles Interesse gezeigt (ob in belästigender Weise, nicht zu sagen), sie lehnt ab, er schlägt im Affekt zu, aus Frust oder meinetwegen verletzten Gefühlen. Wie man von diesem Punkt dahin kommt, dass sie mit ihm mitfährt, tatsächlich etwas nebulös. Frauke soll nach dem Schlag perplex, fassungslos gewesen sein. Saß man bei dem Schlag bereits im Auto oder nicht?
Jedenfalls die Situation an der Stelle und bis auf weiteres keinesfalls ein hartes "ich lasse dich nicht mehr gehen, und wenn ich dich umbringen muss", eher habe ich das Bild vor Augen, dass er sich sofort (aus Angst vor den Konsequenzen) wortreich entschuldigt und realisiert, wenn sie jetzt heimgeht, fragt sie jeder wegen der dicken, vermutlich aufgeplatzten Lippe oder so. Losfahren "um nachzudenken", um mit ihr zu klären, sich zu versichern, dass sie nichts sagt, oder auch, weil dort auf dem Parkplatz jederzeit wer vorbeikommen und Fragen stellen könnte, angesichts einer heulenden und verletzten Frauke? Dass Frauke da mitzieht, sich seinem "Plan", seiner Aktivität zur Suche eines folgenlosen Verlaufs unterordnet anstatt auszurasten und das Weite zu suchen, erscheint erstmal völlig unplausibel. Aber auch da ist der Haken, dass man Frauke in dem Moment dieser Situation nicht unbedingt als rational und vor allem beherzt-durchsetzungsstark voraussetzen kann. Nein, ich sehe Frauke da als unter Schock, überfordert, für den Moment (oder auch noch eine Zeitlang darüber hinaus) nicht oder nur eingeschränkt zu beherztem Handeln und Widerspruch in der Lage. Das wäre nicht so abwegig, dass sie, wenn sie sich eigentlich vorher mit dem Typen gut verstanden hat und er sich nach der Schelle sofort groß und bestürzt entschuldigt hat, den gar nicht in dem Maße als unmittelbare Gefahr wahrnimmt und in ihrer Überforderung seiner plötzlichen Aktivität (losfahren, nachdenken, besprechen/klären) folgt. Zu dem Zeitpunkt und genauso noch 0.49 Uhr im Raum Nieheim, Frauke mag sich da etwas gefasst haben, der Typ ist zwar maximal in Unruhe, hat aber keine weitere gegen sie gerichtete Haltung/Handlung gezeigt. Da besteht bei beiden noch keinerlei Perspektive, dass das der Anfang einer fortgesetzten Freiheitsberaubung sein könnte. Für Frauke ist ohne groß drüber nachzudenken selbstverständlich, dass sie zeitnah wieder zu Hause sein wird, auch wenn die Situation da noch ungeklärt ist. Ist einfach so eine Normalitätsannahme die eintritt, wenn die Alternative zu crazy ist, gedanklich nicht fassbar in dem Moment. Dass sie dann die SMS an Chris schickt, passend. Erstmal dem Mitbewohner Bescheid sagen, der wartet ja. Kein gesehener Anlass für einen "Hilferuf", sie kann ihm berichten wenn sie (als selbstverständlich angenommenes) "nachher" wieder zu Hause ist, oder auch nichts erzählen - nicht zu sagen, wie sie da zu des Täters Ansinnen steht, dass die Schelle folgenlos bleiben soll. Dennoch, sie ist aufgewühlt, im Moment die Situation weit wichtiger und präsenter als der wartende Chris, mir gut denkbar, dass sie da die bereits erhebliche Verspätung und den deshalb unpassend wirkenden Text nicht so realisiert. Und wenn sie da nicht weiß, wie es grad weitergeht, was soll sie da auch anders schreiben als nur "komme später"? Und der Täter, was sollte er dagegen gehabt haben? Ortung kein Thema - nicht weil Nieheim eh nicht mit ihm in Verbindung steht, sondern weil fortgesetzte Entführung noch gar nicht auf dem Schirm. Klar wird er geschaut haben, was sie schreibt und hätte bei einem Hilferuf, Äußerungen über das Geschehene, wohl interveniert. Aber so, warum nicht? Wir befinden uns da noch in einer Situation, die zwar hoch konfliktär ist, die aber in der Wahrnehmung Fraukes wie des Täters nach wie vor sozusagen ganz in der Alltagsnormalität gerahmt, eingebettet ist.
Wie es dann weitergeht, so dass Frauke die ganze Nacht und auch den nächsten Tag (Mittwoch) nicht heimkommt, stattdessen im Handlungsbereich des Täters vom Radar verschwindet - das ist eine Black Box, da wird sie an einem (mMn eher frühen, aber ich weiß es nicht) Zeitpunkt protestiert haben, "die Schnauze voll gehabt" haben. an einem Punkt muss er da zu offenem Zwang übergegangen sein, die Frage, wie sie denn mit dicker Lippe folgenlos wieder nach Hause könne nach wie vor ungelöst, Frauke mittlerweile wieder selbstbewusster und aufgebracht, vielleicht konnte er sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie ihn nicht anzeigen würde, oder so?
Keine vorausgeplante Tat, kein fester Zeitpunkt, wo es mit einem "klick" von entspannt zwanglos zu 100% Zwang und Freiheitsberaubung gegen den Willen Fraukes geswitcht hätte, kein bedacht-vernünftiges Wahrnehmen der Situation mit guten Entscheidungen - bei beiden nicht, wenn man so will. Beide überfordert von der mit der Schelle unvermittelt gekippten, eskalierten Situation, er verfällt aus Angst alternativlos in Vertuschungsaktivität, sie ordnet sich unter Überforderung/Schock dem fürs erste unter, folgt dem, vielleicht ohne es groß zu hinterfragen. Ist übrigens keine seltene Spontanreaktion bei Opfern etwa sexueller Übergriffe aus dem sozialen Umfeld, dass sie sich das Narrativ, die Interpretation und Rechtfertigung des Täters erstmal zu eigen machen, oder seine Entschuldigung annehmen - einfach weil sich die Alternative schlimmer anfühlt. Dass das psychisch-emotional so nicht funktioniert, erleben sie dann erst im weiteren Nachgang.
So, da habe ich jetzt wieder länger drauflosgeschrieben. Kann im Detail natürlich auch anders sein (oder die Story ist generell unzutreffend, natürlich, wir reden hier ja nach wie vor immer nur von Möglichkeiten), macht wenig Sinn, da jedes Detail hinsichtlich möglicher Varianten zu diskutieren. Grundidee und Gesamtbild sind da entscheidend.
[quote=Hamburger post_id=303958 time=1757038740 user_id=10025]
Nach meiner Ansicht übersieht Du einen wichtigen Unterschied. Die polizeilichen Entwicklungen wären vermutlich anders verlaufen, wenn Frauke nach dem Pubbesuch "spurlos" verschwunden wäre und es die 1. SMS und die Anrufe nicht gegeben hätte.
In diesem Fall wären die Polizei und die Öffentlichkeit von dem [u]Nachhauseweg als Tatort[/u] ausgegangen und die Ermittlungen hätten sich auf die Umgebung des Pubs und den anschließenden Weg (bzw. die möglichen Wege) konzentriert.
(...)
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Mag sein, aber das ist hier nicht der Punkt, kein "was wäre wenn". Es geht darum, dass die tatsächlich stattgefundenen Anrufe ein auffälliges und eindruckstarkes Alleinstellungsmerkmal sind, während die anderen uns tatsächlich bekannten Details dünn und im Vergleich mit anderen gelösten oder ungelösten Vermissten- oder Mordfällen nicht bemerkenswert, sondern quasi recht beliebig daherkommen.
[quote=Hamburger post_id=303958 time=1757038740 user_id=10025]
Der 1. Anruf erfolgte [u]einige Stunden, nachdem[/u] die Polizei die Aufnahme von Ermittlungen öffentlich bekanntgegeben hatte. Das Lebenszeichen der Anrufe führte zur Entwarnung bei der Polizei – und ich glaube, es ist doch recht wahrscheinlich, dass genau das auch die Absicht des Täters war.
[/quote]
Das sehe ich auch so, aber in der Hypothese eines Tatgeschehens gemäß dem PM vielleicht in einem etwas anderen Gesamtbild als du. Ja, Entwarnung, vorgebliche Freiwilligkeit/Selbstbestimmtheit Fraukes auf jeden Fall. Aber nicht in dem Sinne, eine vorgesehene fortgesetzte Freiheitsberaubung mit abschließendem Mord der erfolgreichen polizeilichen Ermittlung zu entziehen, genau das ist wieder das planvoll-zielgerichtete Handeln, ein "die Tat begehen [i]wollen[/i]", das beim Täter immer wieder automatisch angenommen wird. Sondern weil es mit dem offiziellen und öffentlich gemachten Verdacht einer Freiheitsberaubung genau in die entgegengesetzte Richtung geht dessen, was der Täter will, nämlich das Ganze ("eigentlich doch nur eine Ohrfeige, ich will sie doch gar nicht festhalten, ich/wir suchen doch nur nach einer Lösung"...) folgenlos beenden, quasi ungeschehen machen. Dass er da keinen realistischen Plan hat, wie das ablaufen sollte, einerlei. Der hat sich da in eine Vermeidung/Vertuschung reinmanövriert und weiß nicht, wie er da wieder rauskommen soll. Nur, dass es mit der öffentlichen Aufmerksamkeit und Deutung ihres Verschwindens als mutmaßlichem Verbrechen immer schlimmer wird. Und Frauke? So lang er keinerlei Anzeichen/Konsequenz erkennen lässt, dass das Ganze in ihrem Tod statt Freilassung enden könnte, für sie auch ein undenkbarer Ausgang. sofern er ihr gegenüber nicht klar aggressiv, drohend, ggf. gewalttätig auftritt, ist mitziehen und kooperieren, bis er zur Einsicht kommt oder so vielleicht nicht das Verkehrteste. Vielleicht war der auch cholerisch drauf, friedlich solang sie mitzieht, aber sofort bedrohlich, wenn ihm ihre Äußerungen nicht gepasst haben? Klar muss er auf eine Weise die Kontrolle ausgeübt haben, Frauke wäre garantiert abgehauen, wenn sie gekonnt hätte. Aber ab wann? Insbesondere dass sie bei den Anrufen kooperiert und da nichts von ihrer tatsächlichen Lage preisgibt, sondern nur ihre baldige Heimkehr (von der sie da auch nach wie vor ausgeht, bis Sonntag) ankündigt - die wären da doch auch ganz in ihrem Interesse, sie unterstützen und explizieren die gemeinsame(!) Zielsetzung nach einem "guten Ende".
Ist natürlich in sofern vage, als dass man sich da nur schwer vorstellen kann, wie das da im tatsächlichen "Entführungsalltag" praktisch ausgesehen haben soll. Zumindest meine Vorstellungskraft findet da zu keinem klaren Bild, meine (zumindest eingebildete) Fähigkeit, mich hineinzuversetzten, kommt da klar an ihre Grenzen. Dennoch, diese offene Frage betrifft doch im Zweifel jeden Hergang mit einem Einzeltäter, in weiten Teilen genauso bei mehreren Tätern. Wie wurde sie festgehalten, wie wurden die Anruffahrten durchgeführt, wie hier Fraukes Kooperation erreicht usw.
Mit einer Frauke, die zunächst selbstverständlich davon ausgeht, dass das soweit gut ausgehen wird, für die ihr Tod als Abschluss zunächst undenkbar ist, die vielleicht viel eher erwartet, dass der Täter von selbst drauf kommt, dass er keine Wahl hat "aufzugeben" - mit so einer Frauke sollte das alles doch im Grunde viel eher einfacher zu handhaben gewesen sein, oder nicht? ;)
Aber nein, wir orientieren uns immer wieder an der gedanklichen Vorlage eines bösartig auftretenden, alle Widerstände mit Zwang brechenden und den Verlauf auf ein gesetztes Ziel hin souverän bestimmenden Täters. Und folgerichtig notwendigerweise auf ein willenloses, zum Geschehen nichts beitragenden marionettengleichen Opfers.