Ich bin immer davon ausgegangen, dass Vergiftungen mit Methylquecksilber sehr selten und ungewöhnlich sind und ein hohes Fachwissen des Täters voraussetzen. . Das ist aber offensichtlich nicht so, wie ein Urteil des Landgerichts Bielefeld aus dem Jahre 2019 eindrucksvoll belegt. Aufgrund von Internetrecherchen kann man das Gift offenbar im heimischen Kellerlabor gewinnen .
Im Jahre 2019 wurde ein Mann vom Landgericht Bielefeld u.a. wegen versuchten Mordes verurteilt, weil er versucht hatte einen Arbeitskollegen mit Methylquecksilber zu vergiften.
Die Urteilsbegründung dem Landgerichts Bielefeld vom 7.3.2019 ist online einsehbar.
Dort heißt es unter anderem:
Zunächst zum Ablauf der Giftherstellung durch den Angeklagten
Jedenfalls um das Jahr 2011 begann der Angeklagte sich immer intensiver mit der Herstellung immer giftigerer Chemikalien zu beschäftigen. Über das Internet bestellte er hierzu nach und nach die erforderliche Laborausrüstung.
Die Intensität der Internetrecherchen zu chemischen Sachverhalten nahm immer weiter zu. So suchte er etwa am 28.02.2016: "methylquecksilber symptome" und "methylquecksilberiodid". Am 29.07.2017 und 30.07.2017 suchte er unter anderem: "dimethylquecksilber methylquecksilberiodid"
Zum Tatgeschehen, der Verabreichung von Methylquecksilber:
Im Sommer 2016 verabreichte der Angeklagte seinem Arbeitskollegen F. in mindestens einem Fall methyliertes Quecksilber.
Weder der konkrete Verabreichungszeitpunkt noch die genaue Verabreichungsform konnten aufgeklärt werden. Die Kammer hält es für wahrscheinlich, dass der Angeklagte die zur Arbeit mitgebrachten Lebensmittel des F. während der Arbeitszeit mit Methylquecksilberiodid versetzte, denn auch F. verbrachte seine Pausen im Bereich des Werkzeugbaus und lagerte dort seine mitgebrachten Lebensmittel (zumeist Müsli und laktosefreie Milch). Weiter hält es die Kammer für wahrscheinlich, dass die Vergiftung von F. am 29.07.2016 erfolgte. Hierbei handelte es sich um den letzten gemeinsamen Arbeitstag von ihm und dem Angeklagten. Einen Tag später ging der Angeklagte in den Sommerurlaub, aus dem er erst am 22.08.2016 zurückkehrte. F. hatte seinen letzten Arbeitstag bei der Firma B. am 20.08.2016 in der Zeit von 05.58 Uhr bis 11.18 Uhr. Hiernach war er krankgeschrieben. Wegen der immer schlimmer werdenden Vergiftungsfolgen konnte er nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.
Auch in diesem Fall war die Vergiftung mit Quecksilber schwer zu diagnostizieren. In Deutschland scheinen solche Vergiftungen sehr selten zu sein. Es gibt offensichtlich keine Gegenmittel, denn ein entsprechendes medikament wurde aus Polen eingeflogen. Dann scheint es in Polen evtl. häufiger derartige Vergiftungen zu geben.
Aufgrund der Symptomatik, die in der Literatur auch im Zusammenhang mit einer Dimethyl-Quecksilber-Vergiftung beschrieben wird, erfolgten Analysen auf Quecksilber und Methylquecksilber. Die Befunde bestätigten schließlich Ende September 2016 den Verdacht, dass die Symptome auf eine Methyl-Quecksilber-Vergiftung zurückzuführen sind. Es erfolgten Entgiftungstherapien mit Komplexbildner (DMPS - Dimercaptopropansulfonsäure) sowie mittels Erythrozyten-Apherese. Da solche Vergiftungen in Deutschland äußerst selten sind, musste das zur Behandlung erforderliche Medikament aus Polen eingeflogen werden. Allerdings konnte auch diese Behandlung F. nicht mehr helfen. Sein Gehirn war infolge der Quecksilberintoxikation mittlerweile irreparabel schwer geschädigt.
Hier noch die rechtliche Einordnung der Quecksilbervergiftung als versuchten Mord:
Der Angeklagte, der zuvor die Wirkweise der Quecksilberverbindungen ausgiebig recherchiert hatte, führte diesen Zustand von F. wissentlich herbei. Er wusste, dass auch die nur einmalige Verabreichung von Quecksilberverbindungen nicht nur zu (erheblichen) Gesundheitsschäden führen würde, sondern voraussichtlich auch tödlich wirken würde. Dabei war er sich bewusst, mit der Verabreichung des Giftes alles seinerseits für eine Tötung von F. Erforderliche getan zu haben, und nahm billigend in Kauf, dass dieser an dem methylierten Quecksilber sterben würde. Tatsächlich ist F. nur aufgrund der umfassenden medizinischen Versorgung überhaupt noch am Leben.Der Angeklagte wusste auch um die Latenzzeit von mindestens zwei bis drei Wochen. Er wusste dabei auch, dass F. mit einer Vergiftung durch den Angeklagten nicht rechnete. Diese Arg- und Wehrlosigkeit nutzte der Angeklagte zur Begehung der Tat aus.
Noch etwas zur Ermittlungshistorie, auch hier wurden die Ermittlungen zunächst eingestellt:
Nachdem in dem Uniklinikum I. festgestellt worden war, dass F. an einer Quecksilbervergiftung litt, erstatteten seine Eltern auf Anraten der behandelnden Ärzte am 30.09.2016 Strafanzeige bei der Kreispolizeibehörde E.. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde unter anderem der Arbeitsplatz von F. bei der Firma B. untersucht. Die Untersuchungen (einschließlich der Staubuntersuchungen an dessen Arbeitsplatz) verliefen ohne Nachweis einer Quecksilberbelastung. Die Überprüfung des persönlichen und familiären Umfeldes ergab keine Kontakte mit Quecksilber. Auch die Untersuchung seiner E-Zigarette und der dazu gehörenden Flavours verlief negativ. Das damalige Ermittlungsverfahren wurde schließlich im Juni 2017 eingestellt, weil die Ursache der Quecksilbervergiftung nicht gefunden werden konnte.
Nachdem sich im Zuge der weiteren Ermittlungen sowie Analysen am 06.06.2018 der Verdacht erhärtet hatte, dass sich insbesondere Dimethylquecksilber unter den gefundenen Substanzen befand, wurden die Analysen im Landeskriminalamt NRW angehalten und das gesamte Labor auch für das Reinigungspersonal über Wochen gesperrt. Auf die Mitteilung des Landeskriminalamtes NRW wurde am 07.06.2018 das Wohnhaus des Angeklagten geräumt und versiegelt. Am 09.06.2018 wurde durch die Spezialeinheiten eines ATF-Zuges (Analytische Task-Force) der Berufsfeuerwehr J. sowie der Feuerwehr C. das Wohnhaus betreten und auf Giftstoffe untersucht. Hierbei wurden Edukte aufgefunden, die für die Herstellung von Dimethylquecksilber verwendet werden
https://openjur.de/u/2202911.html
Im o.g. Fall wird das Motiv auch nicht ganz deutlich. Offenbar litt der Angeklagte unter psychischen Problemen, die seine Schuldfähigkeit offenbar aber nicht tangierten.
Hierzu heißt es:
) Schuldfähigkeit
Bei dem Angeklagten liegen, auch schon während des Tatzeitraums, leichte autistische Züge oder eine schizoide Persönlichkeitsakzentuierung vor. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten war zur Tatzeit jedoch weder erheblich vermindert noch aufgehoben im Sinne der §§ 20, 21 StGB.
Wenn man sich das Urteil durchliest, könnte man fast meinen, dass der Täter eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur hatte und vielleicht auch gegen das Opfer persönlich etwas hatte, vielleicht weil er seine Angehörigen oder sich vom Opfer ungerecht behandelt gefühlt hat.
Dazu passt aber nicht, dass das Opfer den Täter offenbar nicht kannte. Er ist ihm direkt begegnet und hätte ihn von daher erkennen müssen.