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Horror vacui ist ein Begriff aus der Kunst. Er beschreibt das Bedürfnis der Maler, jede freie Fläche auszumalen, mit Formen und Farben zu füllen. Ich fürchte mich vor dem Horror vacui. Die Angst, dass in meinem Kopf Bilder von dem zehntausendfachen sexuellen Missbrauch von Kindern entstehen. Bilder, die sich einfressen, weil sie Vorstellungen erzwingen, die unmenschlich, grausam, widerwärtig sind. Von unserem Gastautor Horst Kläuser.
Da liest man, fast wie die aktuellen Benzinpreise, dass nach Ermittlungen aus dem Bergisch Gladbacher pädokriminellen Fall 30.000 Täter festgestellt wurden. Dreißigtausend! Das sind mindestens 30.000 Kinder, vermutlich mit einem Faktor zu multiplizieren, der jedem Menschen mit Empathie die Sprache verschlägt.
Dreißigtausend! Hier handelt es sich längst schon nicht mehr um den „Gelegenheitsmissbrauch“ des Patenonkels oder des „lieben Nachbarn“. Hier ist eine verabscheuungswürdige, globale Missbrauchsindustrie entstanden, die sich selbst nährt. Nach jedem Schlag gegen solche Kreise, zu denen unerklärlicherweise auch Frauen, Mütter sogar, gehören, wachsen aus den abgeschlagenen Köpfen der Hydra neue, widerliche Tätergruppen. Sie sind datenschutzmäßig nicht weniger kompetent als Geheimdienste und bewegen sich im Darknet, dem beinahe unsichtbaren Teil des Internets, so sicher und gewohnheitsmäßig wie ihre Opas früher auf der Kegelbahn.
Ob in Staufen, Lügde, Münster, Bergisch Gladbach – fast wöchentlich werden Fälle bekannt, die immer, wirklich immer Teil von Banden, verschworenen Clubs und Verbrecherkreisen sind. Die Zahlen steigen: 2019 verzeichnete die BKA-Statistik 12.300 Fälle – das sind 65 % mehr als im Vorjahr. Und das sind ja nur die angezeigten, die bekannten. Gerade diese „Branche“ lebt vom dunklen Geheimnis, von Angst, Erpressung, Einschüchterung und dem Verborgenen.
Die nicht selten erschreckend bürgerlichen Verhältnisse machen Angst. Nicht nur wegen der schrecklichen Taten und denen ihrer Fröhlichkeit beraubten Kinder, auch weil wir längst wissen, dass die Täter und Täterinnen überall sind. Wenn die WHO, also die Weltgesundheitsorganisation der UNO schätzt, dass jedes Jahr 1 Million Kinder sexuelle Gewalt erleben, säßen statistisch in jeder Schulklasse zwei Opfer.
Kennen wir sie? Können wir ihnen helfen? Werden sie je ein normales (Sexual-)Leben führen können?
Unsere Gesetze sind klar. Wenn schon die Vergewaltigung unter Erwachsenen Mindeststrafen von zwei, bei Gewaltanwendung sogar ab fünf Jahren vorsieht, muss doch klar sein, wie viel grausamer und brutaler die Vergewaltigung von Kindern ist. Sie sind schwach, wehrlos, missbraucht in vielen Fällen von den eigenen Vätern, Freunden der Familie. Das sind Menschen, an die man sich gemeinhin in Not wenden würde. Sie sind Monster, das Ur-Vertrauen zwischen Kind und Eltern wird zerstört, geopfert auf dem Altar einer kranken Lust, verteilt für Geld, geteilt mit anderen, die sich ekelhaft daran ergötzen.
Selbst einstmals sichere Orte, Schulen, Kirchen, Pfarrhäuser, Jugendheime haben sich längst als gefährliche Orte entpuppt, in den Schutzbefohlene missbraucht wurden. Eine Mauer des Schweigens verhinderte jahrzehntelang Aufklärung und Prävention, wenn nämlich Lehrer und Pfarrer trotz hinreichender Verdachtsmomente weiterhin mit Kindern allein sein durften.
Nein, die Täter, bei denen es mir schwerfällt, gewisse Gedanken nicht zu haben, sind nicht schuldunfähiger, weil sie (manchmal) selbst Opfer solcher Gewalt waren. Sie verdienen kein Mitleid. Sie sind schlau, wissen geschult mit dem Internet und Datenschutz umzugehen, Künstler der Vertuschung. Manche sind Akademiker, Fachleute in angesehenen Berufen und leben in “geordneten Verhältnissen“. Vielleicht wohnen sie nebenan und gaukeln ein normales, glückliches Familienleben vor – bis es donnerstags in die Laube geht: hochauflösende Kameras, Video-Schalten, Gebrauchsweisungen fürs Betäuben, Sound-Verbesserung und das richtige Licht, verschlüsselte Datenträger, geniale Verstecke und Uploads in die finstersten Ecken des Internets, wo andere geile Voyeure, sich am Leid der Kinder berausche…
Man möchte erbrechen, wenn man sich die Tatorte und die akribisch-teuflische Vorbereitung der Schwerstverbrecher vorstellt.
Ob höhere Strafen helfen könnten? Wohl nicht. Auch die jetzigen müssten den normalen Bürger hinreichend schrecken, abhalten tun sie nicht. Die Aufklärungsarbeit wird verschärft. Zum Glück.
Aber auch die Ermittler, Polizisten oder Mitarbeiter der Staatsanwaltschaften sind Opfer. Die Durchsetzung des Rechts verlangt die genaue Feststellung der Taten, qualitativ und quantitativ, die Identifikation der Täter und der Opfer (um manche von ihnen erst befreien zu können). Diese Diener des Rechts setzen sich schwersten persönlichen Belastungen aus, die nicht folgenlos bleiben können. Brutalität im Bil – was sie sehen müsse, lässt sich nicht mit der abendlichen Dusche abspülen.
Insofern tut sich für die gesamte Gesellschaft eine wahnsinnig große Aufgabe auf: wir alle müssen wachsamer, sensibler werden. Worüber witzeln manche, wie reagieren manche Erwachsene auf Kinder, wie verhalten sich Schüler, schüchterne oder aggressive in Kindergarten und Schule, welche Verletzungen oder Verhaltensstörungen werden beim Kindergeburtstag, bei McDonalds oder im Streichelzoo sichtbar?
Es geht hier nicht um Werbung für den Blockwart oder den Denunzianten. Aber wenn es stimmt, dass allein der Kreis aus Bergisch Gladbach 30.000 Täter hatte, wenn es stimmt, das eine Millionen Kinder Jahr für Jahr missbraucht werden, dann ist es längst nicht mehr nur ein Fall für Polizei und Justiz. Es passiert nebenan.
Pädokriminalität, sexuelle Gewalt an Kindern ist ein Fall für uns, unser Gewissen, unsere Haltung als Mensch. Die ekelhaften Verbrechen sind ein Makel unserer Gesellschaft.
Es sind kleine Morde an unschuldigen Kinderseelen.
www.hilfetelefon.de
www.kein-taeter-werden.de
www.nicht-wegsehen.net
wer die mutigen Ruhrbarone sind, erfährt man hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruhrbarone