Heute im Traunsteiner Tagblatt:
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Ein unbekannter »Jogger« spielte nach dem gewaltsamen Tod von Hanna W. (23) in der Nacht des 3. Oktober 2022 in Aschau kurzzeitig eine Rolle. Eine Mutter meldete gut zwei Wochen später, ihr Sohn (21) sei in jener Nacht laufen gewesen. So richtig ins Visier rückte er nach Meldung von zwei Zeuginnen am 17. November 2022, sie hätten exakt am Tatort einen Jogger mit Stirnlampe beobachtet. Dies sind erste Indizien gegen den 21-jährigen Auszubildenden im Mordprozess der Zweiten Jugendkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler. Das Verfahren geht am 17., 18. und 19. Oktober jeweils um 9 Uhr weiter.
Der Angeklagte wirkte auch am Freitag ruhig und gelassen. Er und das Opfer kannten sich nicht. Hanna, die damals aus dem Discoclub »Eiskeller« kam, soll er auf dem Heimweg zu ihrem 800 Meter entfernten Elternhaus verfolgt, zu Boden gebracht, stranguliert, bewusstlos geschlagen und dann in den nahen Bärbach geworfen haben. Die junge Frau ertrank in dem Hochwasser führenden Gewässer binnen Minuten. Ihre Leiche wurde nachmittags zwölf Kilometer weiter bei Kaltenbach im Fluss Prien gesichtet.
Der Mordfall Hanna wurde in der am 9. November 2022 ausgestrahlten Sendung »Aktenzeichen XY« aufgegriffen. Im Zentrum stand damals allerdings eine auffällige Uhr, die – wie sich später zeigte – mit dem Tod der Studentin nichts zu tun hatte.
»Der junge Mann war auffällig blass im Gesicht«
Auf den Anruf der Mutter am 20. Oktober 2022 hatte die Kripo den 21-Jährigen vorgeladen. Er konnte nach seinen Worten in der besagten Nacht nicht schlafen, trainierte deshalb für einen Marathonlauf. Er zeichnete bei der Polizei seine Laufstrecke auf. Verwickelte er sich in Widersprüche, die nach Täterwissen aussahen, fand er sofort einleuchtende Erklärungen, wie eine Beamtin am Freitag betonte. Warum er über den Parkplatz der Kampenwandbahn, nicht über eine andere Strecke gerannt war – dazu meinte er: »Ich hätte am Eiskeller vorbei müssen. Die hätten mich für einen Deppen gehalten.« Er behauptete bei der Vernehmung, beim Laufen ein Mädchen gesehen und kurzen Blickkontakt gehabt zu haben. Außerdem sei ein Auto mit mehreren Männern in der Straße gestanden. Die Berichte in den Medien und den »Aktenzeichen XY«-Beitrag habe er mitbekommen, bestätigte er in seiner ersten Vernehmung. Die Kriminalhauptkommissarin erinnerte sich: »Der junge Mann wirkte nicht nervös, war nur auffällig blass im Gesicht.« Auch bei der zweiten Vernehmung habe sich keinerlei Tatverdacht ergeben.
Nach Worten des Sachbearbeiters der Kripo Rosenheim am ersten Prozesstag änderte sich das am 17. November 2022. Zwischenzeitlich sei der genaue Tatort ermittelt worden. Eine Zeugin habe informiert, genau dort habe sie einen »Jogger mit Stirnlampe in schwarzer Kleidung« beobachtet. Als sich bei der Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten schwarze Kleidung und mehrere Stirnlampen fanden, klickten die Handschellen.
»Wir waren alle miteinander absolut glücklich«
Die Familie des Mordopfers trat am Freitag in den Zeugenstand, unterstützt von Nebenklagevertreter Walter Holderle aus Rosenheim und Robert Schwarzmeier von der Betreuungsgruppe am Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Die 53-jährige Mutter Rosalie W. beschrieb ihre schöne, 1,86 Meter große Tochter, die manchmal modelte, als »ganz taff, nicht unvorsichtig, liebenswürdig, total hilfsbereit, weltoffen«. Sie habe Reisen geliebt, ein englischsprachiges Medizinstudium absolviert. Vier Wochen habe sie allein Australien und Neuseeland bereist: »Sie hat alles souverän gemeistert. Wir mussten uns nie Gedanken machen. Wir waren alle miteinander absolut glücklich.« Hanna habe einen großen Freundeskreis, aber keinen festen Freund gehabt. Die Schneidermeisterin dazu: »Sie hat es genossen, frei und unabhängig zu sein.« Die Mutter meinte weiter, sie schließe einen Umweg ihrer Tochter auf dem Heimweg vom »Eiskeller« über den Bergbahnparkplatz aus. Sie habe immer den direkten Weg gewählt. Der Hintergrund: An dem Parkplatz hatte die Polizei den Gürtel des Opfers sichergestellt.
Die Mutter erwiderte auf Fragen von Vorsitzender Richterin Jacqueline Aßbichler, sie und ihr Mann hätten therapeutische Hilfe benötigt. Und weiter: »Wenn ich morgens aufstehe, vermisse ich Hanna unendlich.« Auch ihrem Mann und dem Bruder von Hanna gehe es nicht gut. Die Familie habe einen Riesenfreundeskreis.
»Wir sind total geborgen und geschützt«, unterstrich die 53-Jährige. Inzwischen könne sie wieder in den Ort gehen: »Dort treffe ich Leute, die mir gut tun. Uns wird viel Mitgefühl entgegengebracht. Oft stehen Kerzen oder Blumen vor der Tür. Wir finden Briefe im Briefkasten.« Der Prozess wühle sie innerlich auf: »Jetzt möchte ich wissen, was passiert ist und warum jemand so etwas macht.«
Ähnlich äußerten sich Hannas Bruder und der Vater. Die 23-Jährige sei zwar gerne gereist, habe aber ihre Wurzeln in Aschau nicht verlieren wollen. Am Morgen des 3. Oktober 2022 sei sie nicht zu Hause, am Handy nicht zu erreichen gewesen. Man habe gedacht, sie habe bei Freunden übernachtet. Ab 21 oder 22 Uhr habe man Freunde angerufen. Niemand habe jedoch etwas über den Verbleib von Hanna gewusst. Dann habe er etwa um 22 Uhr den Notruf gewählt und Vermisstenanzeige erstattet, so der Vater. Bis heute mache er sich Gedanken, dass man die Tochter nicht habe schützen können – vor allem, weil sie in jener Nacht nach Verlassen der Disco noch bei den Eltern auf dem Festnetz angerufen habe. Niemand jedoch habe einen Anruf gehört. Nicht auszuhalten sei die kurze Entfernung zwischen ihrem Haus und dem Tatort, so die Eltern.