Bei der Polizei abgegeben wurde Hannas Handy am 30.05.2023, ausgewertet erst Wochen später. Die Anklage lag schon bei Gericht. Deshalb konnten die aus dem Handy gewonnenen Erkenntnisse in die Anklageschrift nicht einfließen. Dazu zählen vor allem die Indizien für den Zeitpunkt, wann das Handy ins Wasser kam:
• letzte genaue GPS-Koordinate,
• „Verschwimmen“ der GPS-Daten,
• Temperaturabfall des Akkus.
Andere Erkenntnisse dagegen dürften schon im Oktober 2022 gewonnen worden sein – durch Anfrage beim Provider:
• die SMS über entgangene Anrufe
• in der nördlichen Funkzelle und
• evtl. der Anrufversuch zu den Eltern
• in der südlichen Funkzelle.
Ebenso waren im Oktober 2022 die Videoaufzeichnungen des Eiskellers im Hinblick auf Hannas Verlassen des Clubs ausgewertet.
Mit dem Wissensstand vor Anklageerhebung ergab sich damit ein kritischer Zeitraum, der mit Hannas Erreichen der Kampenwandstraße (2:28:00 Uhr) beginnt, und der mit dem Empfang der SMS (2.40 Uhr) nicht zwangsläufig enden muss. Hinzu kam, dass der Fundort von Holzuhr und Ring am Seilbahnparkplatz zunächst einen Tatort im Bereich dieses Parkplatzes implizierte. In diesem Rahmen war ein ausgedehnteres, gewaltsames Tatgeschehen ohne weiteres denkbar.
Nach Auswertung des Handys beginnt zwar der kritische Zeitraum ebenfalls um 2:28:00 Uhr, wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits um 2:33:35 Uhr beendet, als das Handy ins Wasser geriet. Diese neuen Umstände schränken ein mögliches Tatgeschehen zeitlich ganz wesentlich ein. Und auch räumlich ergeben konkrete GPS-Koordinaten einen anderen Tatort am Brückerl.
Anklage erhoben wurde spätestens am 11.05.2023. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens wäre eine Rücknahme der Anklage noch möglich gewesen. Das Verfahren wäre dann in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt worden.
Am 28.06.2023 wurde das Hauptverfahren eröffnet (Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung). Das Handy konnte bis dahin zwar „ausgelesen werden“, wie es in der Pressemitteilung des LG Traunstein heißt, ob jedoch schon alle Ergebnisse im Detail vorlagen, geht daraus nicht klar hervor.
https://www.justiz.bayern.de/media/imag ... -fall_.pdf
Fest steht, dass ab dem 28.06.2023 die StA keine Möglichkeit mehr hatte, die Anklage zurückzunehmen (§ 156 StPO). Wahrscheinlich hätte die StA bei Kenntnis aller Ergebnisse der Handy-Auswertung ihre Entscheidung nach § 170 StPO (Anklageerhebung oder Einstellung des Verfahrens) anders oder – nach weiteren Ermittlungen! – später getroffen.
So aber offenbaren sich im laufenden Hauptverfahren immer wieder neue Ermittlungslücken (z. B. Fragen zur Notfallfunktion und zur Akkutemperatur des Handys), die versucht werden, unter rollendem Rad zu flicken.
Noch am 06.10.2022 sagte Soko-Leiter Butz:
Trotz vorliegender Obduktionsergebnisse bezog die Polizei zunächst auch die Möglichkeit eines Unfalls in ihre Überlegungen ein. Als sogenannte „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ aber hatte die StA wohl frühzeitig den Hut auf – und ein Unfallgeschehen wenig im Blick.… Auf Grundlage der aktuellen Einschätzungen von Experten, insbesondere der rechtsmedizinischen Untersuchungsergebnisse, gehen wir im vorliegenden Fall von einem Gewaltdelikt aus und priorisieren diese Ermittlungsrichtung. Natürlich berücksichtigen wir aber bei unseren Ermittlungen stets auch andere denkbare Fallkonstellationen, wie beispielsweise ein Unfallgeschehen.
Pressemitteilung PP Oberbayern Süd vom 06.10.2022
https://www.polizei.bayern.de/aktuelles ... en/036271/
Demzufolge wurde schon im Ermittlungsverfahren die Möglichkeit von Treibverletzungen im Rahmen eines Unfalls nicht hinreichend untersucht. Denn für nicht ausreichend kompetent bei Fragen zu Verletzungen in fließenden Gewässern befindet sich nach eigener Aussage der beauftragte biomechanische Sachverständige Adamec von der Rechtsmedizin München:
viewtopic.php?p=238683#p238683
Daran ändert nichts, dass die Polizei auf Betreiben der StA eine der umfangreichsten Ermittlungen führte, die es je beim PP Oberbayern Süd gegeben hat – von der massenhaften Vernehmung von Eiskeller-Gästen einschließlich „Kostümprobe“ und DNA-Test bis hin zur wohl ergebnislosen Priorisierung von 26 Personen. Eine ebenso akribisch genaue Untersuchung von Bärbach und Prien auf potentielle Verletzungsursachen jedoch schien der federführenden StA wohl entbehrlich.
Gleichfalls wurde die Aussage der Hauptbelastungszeugin Verena R. nicht mit der gebotenen Sorgfalt auf Plausibilität geprüft. Andernfalls hätte sich schon spätestens im Dezember 2022 herausstellen müssen, dass die zeitlichen Angaben der Zeugin im Widerspruch stehen zu objektiven Fakten: zu den Daten ihres Handys, der Datierung einer WhatsApp-Nachricht und zu Webcam-Aufnahmen.
War das für RA Baumgärtl nicht aus den Akten ersichtlich? Wurden diese Aktenteile von der StA bei der Akteneinsicht des Verteidigers damals noch zurückgehalten? Mit diesen Kenntnissen wäre eine Haftprüfung womöglich erfolgreich verlaufen! Denn der dringende Tatverdacht dürfte im Kern auf der Aussage von Verena R. beruht haben.
Auch die StA Traunstein ist verpflichtet, Entlastendes genauso zu ermitteln wie Belastendes. Statt dessen wurden die Untersuchungen voreilig in Richtung einer Gewalttat und eines ganz bestimmten Beschuldigten gelenkt.
Was nun noch geblieben ist: symmetrische Schulterdachfrakturen, fünf gleichartige Riss-Quetsch-Wunden am Schädel – und Aussagen der Rechtsmediziner.
Weitere Überraschungen könnten die neuen Gutachten bereithalten. Zu bezweifeln wage ich, ob die Fließgeschwindigkeiten in der reißenden Prien und im Bärbach nebst allen denkbaren Hindernissen im Flusslauf bislang wissenschaftlich adäquat berücksichtigt wurden. Anschließend sollten die Ergebnisse der Computertomographie erneut bewertet werden.
Die Wahrheit wird sich nicht finden lassen und Gerechtigkeit kann ein Gericht nicht liefern, sondern nur ein Urteil.
Am Ende wird ein Ergebnis stehen:
• eine Gewalttat mit plausiblem Szenario trotz des sehr engen Zeitfensters,
• ein Unfall trotz der auffälligen Verletzungen oder
• in dubio pro reo.
Der Weg dorthin wird gespickt sein mit Überraschungen wie aus einer billigen Gerichtsshow im Trash-TV …