Acrylium hat geschrieben: ↑Dienstag, 17. September 2024, 14:48:16
So ähnlich sehe ich das auch. Da stimmt irgendwas mit dem angenommenen Ablauf der Abends nicht. Allerdings hatte keiner der Typen, die Sonja zuletzt gesehen haben (wollen) damals einen PKW und damit die Möglichkeit, Sonja bis nach Kipfenberg zu verfrachten. Die kann man als Täter also mit ziemlicher Sicherheit ausschließen - was sich ja auch mit der Einschätzung der Ermittlungsbehörden deckt. Man sollte niemanden verdächtigen, schon gar nicht öffentlich, bei dem eine Täterschaft so unwahrscheinlich ist und sich auch überhaupt nicht aus den Zusammenhängen ergibt.
Möglicherweise lief der Abend anders ab, vielleicht haben die sich total besoffen, einen Automaten aufgebrochen, gekifft oder sich einfach übel verstritten. Irgendwas, was man in dem Alter halt so an Blödsinn macht. Etwas vergleichsweise harmloses, was die damals aber nicht zugeben wollten. Ein bizarrer und unwahrscheinlicher Zufall hat dann jedoch dazu geführt, dass Sonja an dem Abend entführt/ermordet/verschleppt wurde, und dann standen die doof da. Sie hatten nichts mit Sonjas Verschwinden zu tun, wollten oder konnten aber aus ganz anderen Gründen auch nicht sagen, wie der Abend wirklich ablief. Aber das ist letztlich nur Spekulation.
Einer Aufklärung des Mordfalls wird man aber - glaube ich jedenfalls - nicht unbedingt näher kommen, indem man heute noch versucht, den tatsächlichen Ablauf des Abends zu rekonstruieren. Außer natürlich, man geht von wirklich irren und extrem unwahrscheinlichen Zusammenhängen aus...
Also wenn nach dem dato spurlosen Verschwinden einer jungen Frau mehrere teils minderjährige Jungs, die zuletzt mit ihr bekanntermaßen in Kontakt standen, zum Verlauf des fraglichen Abends befragt werden, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass der wahrheitsgemäße Hergang auch ermittelt wird. Dass die mit einer abgesprochenen Klapperstorchgeschichte durchkämen, mir nicht wirklich vorstellbar. Dass hier nicht alle Details veröffentlicht wurden, manches vielleicht auch zum Schutz der Beteiligten unbenannt blieb oder verändert dargestellt wurde, keine Frage. Etwa Drogenkonsum - mag den Staatsanwalt interessieren, gerade in Bayern, geht aber die Öffentlichkeit aufgrund von Persönlichkeitsrechten nichts an, kein berechtigtes öffentliches Interesse, bei Minderjährigen schon zweimal nicht.
Was ich als Möglichkeit annehme ist, dass Sonja durch Alkohol oder anderweitige Rauschmittel erheblich in Urteilsvermögen, Entscheidungsfindung und Handlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sein könnte. Außerdem, dass man ihr das möglicherweise schon auf Distanz ansah.
Sonja soll sich von ihrem Begleiter eine Guthabenkarte für die Telefonzelle geliehen haben, wollte ihre Schwester anrufen, um abgeholt zu werden. Der Begleiter habe den Anruf nicht mehr mitbekommen, habe die zu dem Zeitpunkt einfahrende Bahn genommen oder so.
Bei Sonjas Schwester ging in dieser Nacht kein Anruf(versuch) ein, etwaige abgehende Anrufe von den Telefonzellen am StmP wurden nicht ermittelt.
Könnte Sonja auch jemand anderen als ihre Schwester angerufen haben? Jemanden, der sie abholte (oder wo sie in fußläufiger Nähe selbst hinging, dies auch möglich ohne vorherigen Anruf) und dem klar war, dass niemand wusste, dass sie bei ihm sei?
Alternativ könnte sie sich auf den Weg gemacht haben, etwa zum Hbf, oder auch nicht, und irgendwo freiwillig in ein Auto gestiegen sein, ob nun Taxi oder privates Fahrzeug, ob mit folgender Spontantat oder einem Fahrer, der auf der Suche nach einem geeigneten Opfer war (junge Frau, allein unterwegs, alkoholisiert). Dass sie gegen ihren Willen von einem dann wohl planvollen Täter in ein Fahrzeug verfrachtet wurde, wäre ebenfalls denkbar.
Letztlich ist das alles nicht entscheidbar und tendentiös Dies oder Jenes für irgendwie wahrscheinlicher zu halten, bringt einen bei Licht betrachtet nicht wirklich weiter.
Bleibt also sozusagen das andere Ende des Hergangs, die Ablage. Und die ist ja absolut bemerkenswert.
Der Täter verbringt die Überreste mit großem Aufwand. Ich fand die Schilderung von Gelände und möglichen Wegen beeindruckend - entweder ein gutes Stück bergauf durch unwegsames Gelände, mit solchem "Gepäck" eine Schinderei, die viele wohl gar nicht bewältigt hätten. Außerdem der Startpunkt dann ziemlich nah am Ortsrand, wenn ich mich recht erinnere. Mit ortsfremdem Fahrzeug oder bei Dunkelheit (Scheinwerfer und ein Weg, der im Grunde im Nirgendwo endet) müsste man damit rechnen aufzufallen. Oder aber von der anderen Seite, dann zwar relativ eben, aber eine erhebliche Strecke durch den Wald mit unwegsamem Untergrund. Ich bin als Jäger oft auch bei Dunkelheit im Wald unterwegs, aber Gelände wie geschildert vermeide ich da jedenfalls, auch ohne "Gepäck".
Das Ziel dieser aufwendigen Ablage scheint klar, Sonjas Überreste sollten nie gefunden werden, nie wieder auftauchen. Praktisch gedacht, stellt sich mir da die Frage nach dem Warum. Ich meine, der Täter hat die, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht neue Decke mit verbracht, außerdem gebrauchte Folie wiederverwendet. Beides totale Spurenmagnete, die er leicht hätte vermeiden können. Klar kann man sagen, wenn er sich sicher war, dass die Überreste nie gefunden würden, hätte ihm das egal sein können. Dennoch, einen derart hohen, auf jeden Fall durchdachten und geplanten Aufwand beim Verbringen einerseits und auf der anderen Seite so eine Schlampigkeit bei der verwendeten "Verpackung", für mich passt das erstmal nicht gut zusammen, irritiert mich. Ich meine, die Verbringung an diesen Ort folgte doch sicher mehr als nur einer spontanen Idee aufgrund der plötzlichen Notwendigkeit, die Leiche loszuwerden. Und da hat er nichtmal frische Folie besorgt, oder wenn vorrätig, verwendet?
Ich meine, so gesehen hätte er sie auch "unverpackt" einfach nachts von einer Brücke in den nächsten größeren Fluss werfen können, völlig egal dass sie zeitnah gefunden würde. Etwaige Spuren wären abgewaschen, und DNA (etwa nach Vergewaltigung in ihrer Vagina) dürfte er damals kaum auf dem Schirm gehabt haben - das steckte da noch völlig in den Kinderschuhen, kam noch nicht in Tatort+co oder in der Zeitung vor. Und wenn, wäre das doch ein Grund mehr gewesen, kein gebrauchtes Material zu verwenden, oder?
Also, der Täter verbringt die Überreste mit sehr großem Aufwand, die Leiche soll nachhaltig verschwinden, und er verwendet gebrauchtes Material zur Verpackung. Gebrauchtes Material, das er da hat, das er übrig hat.
Aber wenn das gar keine Schlampigkeit, Achtlosigkeit war? Genauso wie mir völlig selbstverständlich wäre, in so einem Fall und im Rahmen der nötigen Planung/Vorbereitung die Sachen neu zu kaufen, wohl mit zeitlichem Vorlauf und etwas entfernt von meinem Wohnort, könnte es für den Täter umgekehrt ein no-brainer gewesen sein, erstmal das zu verwenden, was er hat. Also keine Schlampigkeit, sondern Sparsamkeit, etwa eine ausgeprägte und tief verinnerlichte Haltung, nichts unnötig zu kaufen, selbst in einem so besonderen Kontext nicht. Große Armut will ich da nicht annehmen, nicht bei Folie für ein paar wenige Mark. Und ein Fahrzeug muss er auch besessen haben. Nein, vor meinem geistigen Auge sehe ich da als Möglichkeit(!) einen Menschen mit notorischer, tief verinnerlichter Haltung in dieser Sache.
Und da passt plötzlich auch die Bereitschaft, den großen Aufwand der Verbringung zu betreiben. Die Leiche nicht nur loszuwerden, sondern möglichst sicherzustellen, dass sie nie gefunden wird, dass niemand je erfährt, wo sie geblieben ist. Nicht aus alternativloser Notwendigkeit - er hätte sie genausogut einfach irgendwo weit genug außerhalb seines persönlichen Wirkungskreises abladen können und wäre, keine vorherige persönliche Verbindung zu Sonja mal angenommen, wohl genauso wenig jemals erwischt worden. Oder wie gesagt, nackt ins Wasser, damals keine Chance, den Leichenfund dann mit ihm in Verbindung zu bringen. Aber nein, er sucht sich einen Ort, wo maximal unwahrscheinlich ist, dass die Überreste je von irgendwem gefunden werden, und verbringt sie mit ziemlich großem Aufwand (und beim Verbringen durchaus auch mit Entdeckungsrisiko) dorthin.
Ich meine, möglicherweise in beiden Details einen gemeinsamen zugrunde liegenden Wesenszug zu erkennen. Schwer das treffend in Worte zu fassen, vielleicht eine Art Pedanterie, ein Mensch, der sich gründlich damit beschäftigt, was er für richtig/angemessen hält und das dann auch konsequent verfolgt, auch wenn er es sich eigentlich einfacher machen, es etwas entspannter angehen könnte.
Ist natürlich eine waghalsige Spekulation, mit diesen Ausgangspunkten etwas über das Profil des Täters sagen zu wollen. In diesem Sinne natürlich alles nur eine Möglichkeit, deren innere Logik ich vielleicht nachvollziehbar darstellen kann, vielleicht auch nicht.
Jedenfalls, ich habe im Lauf der Zeit den einen oder anderen Menschen in solcher Ausprägung kennengelernt, mit zweien bin ich verwandt. Meine Beobachtung dazu: Eher wenig Sozialkontakte, werden schnell als irgendwie anstrengend wahrgenommen, haben teils auch ihrerseits Schwierigkeiten mit ihren Mitmenschen, die sich oft so gar nicht entlang ihrer eigenen inneren "Leitplanken" äußern und verhalten. Kurz, eher Einzelgänger, Eigenbrödler, komische Vögel. Zumindest was meine persönlichen Bekanntschaften angeht, durchweg allein lebend.
Was ich denke: Ein solcher Mensch, etwas pedantisch, prinzipientreu, eher wenig spontan, der würde eine solche Tat nicht spontan begehen, bzw. eine nur angedachte, fiktive Tat bei Gelegenheit tatsächlich umsetzen. Im Gegenteil, ich würde da eine mit längerem Vorlauf gründlich geplante und vorbereitete Tat annehmen, die Vermeidung von Entdeckungsrisiken und allgemein Unwägbarkeiten genauso gründlich bedacht und umgesetzt wie die aufwendige (und bei Licht betrachtet im Grunde übertriebene) Verbringung der Leiche.
Wie würde so jemand nun vorgehen? Vorbereiteter geeigneter Ort ist klar. Wie gesagt, gut möglich allein lebend und wenig Sozialkontakte. Kleines Haus (geerbt?) in dörflicher/ländlicher Umgebung würde zum Typus wie auch als tatgeeignet passen, könnte aber auch anders sein.
Eine Herangehensweise, nächtens in die anonyme Großstadt zu fahren und nach einem geeigneten Opfer zu suchen, scheint mir passend - gerade weil dieser Typ vor meinem geistigen Auge hier null Zugehörigkeit empfindet, kein Städter, absolut kein Feier-Typ. Gefühlte 100% Anonymität, keiner käme auf die Idee, dass er je dort gewesen sein könnte. In seinem räumlichen Umfeld oder aber auch seinem Umfeld vergleichbarem Kontext würde er weniger wahrscheinlich sein Opfer suchen wollen, das gefühlte Wahrgenommen-Werden dort größer. Er ist im sozialen Kontext Außenseiter, eher Beobachter, und fühlt sich um so sicherer, je mehr er beobachten kann, ohne selbst wahrgenommen zu werden, ohne dass die anderen Anstalten machen, mit ihm in Kontakt treten zu wollen. Die nächtlichen Straßen von München auch gefühlt eigentlich perfekt für ihn, für sein Vorhaben.
So weit, ist natürlich ziemlich zusammengesponnen. Aber ich hoffe, ich konnte die Grundidee dahinter verständlich rüberbringen und würde mich über Kritik und Ergänzungen freuen.
Ach ja, in meinen Augen nach wie vor ein bedeutsames Detail:
Die Abrisskanten des verwendeten Klebebandes belegen ja, dass hier so ein professioneller Abroller verwendet wurde. Sicher kein Gegenstand, den man häufig "einfach so" in irgendeinem Haushalt findet, oder? Ich hab jedenfalls keinen, bin auch noch nie auf die Idee gekommen, mir sowas zu kaufen, und ich wüsste jetzt von niemandem in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis, dass er sowas zu Hause hätte.
Wenn der Typ so drauf war wie von mir umrissen, hätte der sich so ein im Grunde verzichtbares Teil eher nicht gekauft, schon gar nicht im Zusammenhang mit der Leichenverbringung, wo er nichtmal neue Folie verwendet hat. Wie gesagt, nach meinem Erleben kauft sich auch sonst kaum einer "einfach so" so einen Paketband-Abroller.
Wer also hat sowas? 1995 war noch nichts mit Ebay, oder Paketen von Amazon, Zalando usw. von denen ein guter Teil wieder zugeklebt und zurückgeschickt wird. Ich hätte da jetzt keine Idee, wer 1995 rein privat so regelmäßig/häufig Pakete zukleben oder anderweitig Dinge verpacken würde, dass so ein Abroller eine nahe liegende Anschaffung wäre. Schon gar nicht jemand, der zweimal überlegt, bevor er was kauft - aber auch sonst nicht.
Denkbar halt was Berufliches, aber wer hat da den Abroller von der Arbeit privat zur Verfügung? Natürlich möglich, dass er sich das Teil für diesen Zweck "ausgeborgt" hat. Auch die gebrauchte Folie könnte von der Arbeit sein, muss nicht von einer privaten Malerbaustelle stammen.
Oder aber, derjenige vertreibt irgendwas als Kleinunternehmer, ich denke da grad zB an einen Imker mit wenigen hundert Pfundgläsern im Jahr, die halt stoßsicher in 6er Kartons verpackt werden, bevor sie zu irgendeiner Verkaufsstelle (Markt, lokaler Supermarkt oder anderer Laden) gebracht werden. Also nur als Beispiel.
Jedenfalls, der verwendete Abroller ein "ungewöhnlicher Gegenstand", oder nicht?