Wir waren vier Freundinnen
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… im Sommer 2022 war … [Hanna W.] in Frankreich, in Griechenland, beim Wellnessen, auf der Wiesn. …
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… Noch in der Nacht begannen die Rechtsmediziner … mit der Obduktion, als „
theoretisches Konstrukt“ entwarfen sie folgendes Szenario: Jemand müsse Hanna auf ihrem Heimweg von hinten attackiert, sich auf sie gesetzt und ihr dabei die Schulterdächer gebrochen haben, um sie dann mehrmals mit einem Stein zu schlagen und zu strangulieren. Danach müsse er die bereits bewusstlose Hanna in den Bärbach geworfen haben … Dort ist sie dann ertrunken. …
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Die Prien war teilweise
mehr als zwei Meter hoch und reißender als sonst.
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… Gesucht worden war nach einem Jogger, der … am … Festhallenparkplatz vor dem „Eiskeller“ gesehen worden war. Sebastian T. war dieser Jogger, als Zeuge redete er mit den Ermittlern, sagte ihnen, dass er sich vorstellen könne, dass jemand Hanna im Auto mitgenommen habe, dass er sie zu etwas zwingen wollte und sie sich dagegen gewehrt habe. Und dann, so stelle er sich das vor, habe derjenige halt mit einem Stein auf sie eingeschlagen. Seit er festgenommen worden ist, schweigt er.
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… auch nach 34 Verhandlungstagen gibt es keine DNA-Spuren, keine Kameraaufnahmen, die die Tat zeigen, keinen Zeugen, der etwas gesehen hat. Es gibt Indizien, die gegen ihn gewertet werden können, beispielsweise seine eigene Theorie mit dem Stein – die Vorsitzende Richterin … Aßbichler bezeichnet das früh als „Täterwissen“. Was der Prozess aber auch liefert, das sind Indizien dafür, wie widersprüchlich die Ermittlungen teilweise verlaufen sind.
Verhaftet worden war Sebastian T., weil seine beste Freundin den Beamten erzählt hatte, dass T. ihr gegenüber bereits am 3. Oktober von einem Mord in Aschau geredet habe. Das konnte zu dem Zeitpunkt nur der Täter wissen. Doch die Freundin sagt auch, dass er sich dabei auf Medienberichte berufen habe – die es an diesem Tag noch gar nicht gab. Die Ermittler glauben ihr. Ihre Handydaten legen im Prozess jedoch nahe, dass das Gespräch über den Mord abends am 4. Oktober stattgefunden haben muss, nicht am 3., als es schon Medienberichte gab, als schon viele in Aschau darüber gesprochen haben.
Sebastian T. hatte sich nach dem 3. Oktober krankgemeldet, er hatte, das erzählen mehrere Freunde im Prozess, plötzlich viel mehr Alkohol getrunken als üblich, „weggeschüttet“ habe er sich, sagt eine Zeugin. Es sind Indizien, mehr nicht. Doch dann meldet sich wenige Tage nach dem Prozessauftakt noch ein Mithäftling bei der Polizei.
Sebastian T., sagt dieser Häftling, habe ihm rund um Weihnachten 2022 beim Kartenspiel in der Zelle alles gestanden. Er habe an Hanna … [W.] ein „sexuelles Interesse“ gehabt, habe sie bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht wehren könne. Dann habe er sie ins Wasser geworfen. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht halten ihn für glaubwürdig. Die Verteidigung verweist auf seine Borderline-Persönlichkeitsstörung, sie hält ihn für einen Lügner. Alle anderen im Prozess gehörten Mithäftlinge sagen, Sebastian T. habe die Tat immer abgestritten.
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Im November engagieren die Eltern von Sebastian T. eine weitere Verteidigerin, Regina Rick, … bekannt geworden durch den Prozess zum sogenannten Badewannen-Mord, in dem sie Manfred … [G.] nach mehr als dreizehn Jahren aus dem Gefängnis geholt hatte. Der Mord, für den er verurteilt worden war, das ließ Rick anhand mehrerer Gutachten nachweisen, war kein Mord, sondern ein Unfall.
So sieht sie das auch bei dem Geschehen aus der Nacht auf den 3. Oktober. … Die Verteidigerin überzeugt nicht, wie die Ermittler Hanna … [W.s] Heimweg minutiös rekonstruiert haben.
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Im Gerichtssaal werden auch die Videoaufnahmen aus dieser Nacht gezeigt. Um 2.19 Uhr filmt eine Kamera im „Eiskeller“, wie Hanna … [W.] an die Garderobe geht, die Marke für ihre Jacke fällt ihr runter, sie hebt sie auf. Um 2.21 Uhr verlässt sie den Club, sie will mit ihrem Nachbarn heimlaufen, der aber schaut noch mal rein zu seiner Freundin. Fünf Minuten lang wartet Hanna … [W.], dann macht sie sich allein auf den Heimweg … Die Kamera am Notausgang filmt sie, wie sie die Schlossbergstraße entlangläuft, … um 2.28 Uhr biegt sie nach rechts ab auf die Kampenwandstraße. Das wissen die Ermittler alles schon im Oktober 2022. Hannas Handy aber wird erst im Frühjahr 2023 gefunden, danach können die Ermittler ihre letzten Minuten besser nachzeichnen.
Nachdem Hanna … [W.] den „Eiskeller“ verlassen hatte, sinkt in der kalten Nacht die Akkutemperatur ihres Handys kontinuierlich. Doch zwischen 2.32 Uhr und 47 Sekunden und 2.33 Uhr und 48 Sekunden fällt sie plötzlich rapide ab, um fast sieben Grad. Um 2.33 Uhr und 35 Sekunden werden auch die GPS-Daten ihres Handys ungenau. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich das Handy da im Bärbach befunden haben muss. Und dann ist da noch dieser Anruf.
Um 2.32 Uhr und neun Sekunden wählt Hanna … [W.] auf ihrem Sperrbildschirm den Notruf, als Kontakt eingespeichert hat sie dafür die Nummer ihrer Eltern. Der Anruf geht nicht durch. Wahrscheinlich war ihr Guthaben leer. …
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Die Verteidiger von Sebastian T. verweisen auf den Blutalkoholwert von 2,06 Promille, den die Rechtsmediziner bei der Obduktion gemessen haben. Sie fragen im Prozess, ob auch Wasserpflanzen oder Wassertropfen den Notruf ausgelöst haben könnten. Der IT-Sachverständige verneint.
Die Verteidiger wollen nachweisen lassen, dass der Temperaturabfall auf dem Handy auch zeigen könne, dass Hanna zu Hause anrufen wollte, als sie schon ins Wasser gefallen war. Einen entsprechenden Beweisantrag lehnt das Gericht ab. …
Ein von der Verteidigung angeforderter Professor für Hydromechanik erklärt schließlich, dass Hanna … [W.] sich die schwersten Verletzungen am Kopf, an den Schultern, am Rücken nicht im Wasser zuziehen konnte, dort wirkten die Kräfte anders, dort ziehe ein Körper sich eher Schürfwunden und Kratzer zu.
Die Verteidigung wundert diese Aussage, sie bleibt bei ihrer Unfalltheorie und wirft dem Hydromechaniker vor, dass er rechtsmedizinische Aussagen getroffen habe und fordert daher auch noch die Vernehmung eines Hamburger Rechtsmediziners. Der widerspricht in einer von der Verteidigung per E-Mail eingeholten Einschätzung dem Hydromechaniker: Alle Verletzungen habe sich Hanna auch im Wasser zuziehen können. Das Gericht lehnt es ab, den Hamburger Rechtsmediziner zu hören.
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Am Dienstag, nach mehr als fünf Monaten, endet der Prozess. Die Staatsanwaltschaft fordert neuneinhalb Jahre Haft, die Verteidigung Freispruch. …
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Süddeutsche Zeitung am 15.03.2024
https://www.sueddeutsche.de/projekte/ar ... a-e430283/
https://archive.ph/20240318125427/https ... a-e430283/