Nach Wende im Mordfall Hanna
„Der Richtige verurteilt“: Opferanwalt attackiert Star-Verteidigerin scharf
… Rechtsanwalt … Holderle, 65, vertritt die Eltern der … getöteten Studentin … – Foto: Göran Schattauer
Walter Holderle … erhebt nun schwere Vorwürfe – und spricht von neuen Erkenntnissen.
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Focus online sprach exklusiv mit Anwalt von Hannas Eltern
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… Der 65-jährige Jurist vertritt Hannas Eltern, … die bis heute keinen Frieden finden. In dem Gespräch übt Holderle scharfe Kritik am Vorgehen der Verteidigung und erklärt mit Blick auf den kommenden Prozess: „Es wird neue Erkenntnisse geben.“
Die Medizinstudentin … wurde … getötet. Ihr vermeintlicher Mörder Sebastian T. wurde verurteilt, kam aber jetzt frei – Foto: Göran Schattauer/privat
FOCUS online: Herr Holderle, … wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass der … verurteilte Sebastian T. freikommt und der Prozess neu aufgerollt wird?
Walter Holderle: Die Nachricht kam überraschend, und ich fand es befremdlich, wie die Dinge gelaufen sind. Ich habe erst von Journalisten erfahren, dass die Freilassung unmittelbar bevorsteht. Das Gutachten, das zu der Entscheidung geführt hat, wurde mir sehr spät übermittelt, sodass ich keine Zeit mehr hatte, eine Stellungnahme abzugeben. Die Richterin hat sich dafür entschuldigt. Aber das war nicht das Schlimmste.
Focus: Sondern?
Holderle: Ich habe die leidvolle Erfahrung machen müssen, dass es in unserer heutigen Medienlandschaft offenbar nur noch um schnelle Klicks geht. Und Klicks bekommt man mit knackigen Schlagzeilen. Schlagzeilen wie „Unschuldiger hinter Gittern“ werden natürlich eher angeklickt als „Familie trauert um ihre Tochter“. Das ist bitter.
Walter Holderle über Medienberichte: „Finde das erschreckend“
Focus: Sie stören sich an den Berichten zur Freilassung des vermeintlichen Mörders?
Holderle: Viele Medien transportieren die angebliche Sensationsgeschichte von dem armen, unschuldigen, zu Unrecht inhaftierten Mann, sie sprechen von „Justizskandal“ und „Justizirrtum“. Dabei verschweigen sie bewusst Fakten, die im Prozess als gesichert festgestellt wurden. Mit einer objektiven Berichterstattung hat das nichts zu tun. Ich finde das erschreckend und hätte mir das so nie vorstellen können.
Focus: Vor ein paar Tagen haben wir auf FOCUS online ein Interview mit der Rechtsanwältin Regina Rick veröffentlicht, die Sebastian T.s Freilassung erwirkt hat. Was haben Sie daran zu beanstanden?
Holderle: In dem Interview sagte die Verteidigerin, sie sei „ganz sicher“, dass Sebastian T. nicht der Mörder von Hanna ist. Dann folgt der Satz „Das war ein Unfall“. Genau das ist der Punkt: Vonseiten der Verteidigung wird immer wieder die Unfallthese vorgebracht und mit fadenscheinigen Gutachten unterlegt, die ihren Namen nicht verdienen. Ganz bewusst wird dabei ein Fakt unterschlagen, warum es nie und nimmer ein Unfall gewesen sein kann.
Focus: Sie meinen, dass Hanna unmittelbar vor ihrem Tod auf ihrem Handy die Nummer ihrer Eltern gewählt hat, die als Notrufkontakt gespeichert war?
Holderle: Ja. Der Anruf von 2.32 Uhr kam zwar nicht zustande. Aber warum sollte Hanna den Notruf gewählt haben, kurz bevor sie ohne fremde Einwirkung in den Bärbach gefallen ist? Der Notruf lässt sich niemals mit irgendeiner Unfallthese in Einklang bringen. Die von der Verteidigung kolportierte Version, Hanna sei zum Austreten an den Bach gegangen und dann gestürzt, ist völlig lebensfremd.
„Aus meiner Sicht ist der Richtige verurteilt worden“
Focus: Aus Ihrer Sicht war es also kein Unfall?
Holderle: Es war definitiv kein Unfall. Und wenn es kein Unfall war, dann kann es nur Mord gewesen sein.
Focus: Wer war der Mörder? Sebastian T.?
Holderle: Wenn ich mir das fast 300-seitige Urteil des Landgerichts Traunstein durchlese, dann steht für mich als Jurist fest: Die Beweggründe der Kammer sind absolut nachvollziehbar und stichhaltig. Aus meiner Sicht ist der Richtige verurteilt worden.
Focus: Er kam frei, weil der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben … hat. Begründung: Besorgnis der Befangenheit, welche „geeignet ist, ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin zu rechtfertigen“ …
Holderle: Die Vorsitzende Richterin hatte sich mit dem Staatsanwalt per E-Mail über den Fortgang des Verfahrens ausgetauscht. Das ist nicht unüblich. Über den Inhalt kann man trefflich streiten. Ich selbst sehe jedoch nicht, dass da irgendwie gemauschelt wurde.
Focus: Immerhin hat die Vorsitzende Richterin in ihren Mails die Aussage eines windigen Mithäftlings von Sebastian T. als „ganz wichtig“ eingestuft und die Möglichkeit ins Spiel gebracht, „auf Heimtückemord zu plädieren“. Wirklich neutral klingt das nicht, oder?
Holderle: Die Vorstellung, dass ein Gericht sich mehr als 30 Verhandlungstage lang alles ganz neutral anhört, keinerlei Bewertungen vornimmt und erst am allerletzten Tag eine Entscheidung trifft, ist unrealistisch. Nach jedem Prozesstag gibt es eine Tendenz, Dinge kristallisieren sich heraus, manche verfestigen sich. Und wenn sich dann ein Gericht mit der Staatsanwaltschaft darüber austauscht, ist das aus meiner Sicht nicht verwerflich.
BGH hat Inhalt des Urteils „mit keiner Silbe beanstandet“
Focus: Hat der Bundesgerichtshof das Urteil auch inhaltlich angegriffen?
Holderle: Nein. Der Beschluss des BGH ist gerade mal neun Seiten lang. Es geht ausschließlich um die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin. Nur deswegen wurde das Urteil aufgehoben. In der Sache selbst, also zu Sachbeweisen, zu Indizien oder Ähnlichem hat sich Karlsruhe nicht geäußert. Der Inhalt des Urteils wurde mit keiner Silbe beanstandet.
Focus: Die Gründe, die 2024 zu einer Verurteilung von Sebastian T. führten, sind für Sie nachvollziehbar?
Holderle: Ja. Man darf nicht vergessen: Das Urteil hat nicht die Vorsitzende Richterin im Alleingang gefällt. Es war ein Gremium aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffenrichtern. Meines Erachtens haben sie gründlich gearbeitet und sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht.
Focus: Dennoch: Der Mithäftling … ist als notorischer Lügner bekannt. Dessen belastende Aussage ist also nichts wert?
Holderle: Richtig ist, dass ein von der jetzt zuständigen Kammer beauftragter Gutachter den Mithäftling als unglaubwürdig eingestuft hat, so nach dem Motto: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“. Das ist die Quintessenz des Gutachtens.
Focus: Etwas tiefer wird der Experte aber doch gebohrt haben, oder?
Holderle: Mich hat gewundert, dass der Sachverständige sich in der Lage sieht, eine eigene Bewertung abzugeben, ohne selbst ein einziges Wort mit diesem Zeugen gesprochen zu haben. Zudem lässt der Sachverständige in seiner Einschätzung außer Acht, dass der Zeuge auch „Täterwissen“ mitgeteilt hat. Doch selbst wenn der Zeuge als nicht glaubwürdig angesehen wird: Der Angeklagte hat auch anderen Personen gegenüber erklärt, dass er es gewesen ist. Außerdem sprechen sehr viele weitere Indizien gegen den Angeklagten.
… Regina Rick mit ihrem Mandanten Sebastian T. und Kollegen. – Foto: Göran Schattauer
Focus: Die Verteidigerin des Angeklagten, Regina Rick, gab sich im Interview mit FOCUS online siegesgewiss [Focus-Interview mit RAin Rick siehe
hier]. Können Sie das nachvollziehen?
Holderle: Woher diese Selbstsicherheit kommt, kann nur Frau Rick selbst beantworten. Die vorliegenden Fakten jedenfalls sprechen eine andere Sprache. Die von der Verteidigerin propagierte Unfallthese ist nicht haltbar.
Focus: Die Verteidigung von Sebastian T. hat aber Gutachten vorgelegt, die ein Unfallgeschehen erklären sollen. Zählen die Ihrer Meinung nach nicht?
Holderle: Das Wort „Gutachten“ muss ich da in Anführungszeichen setzen. Da wurde zum Beispiel konstruiert, Hannas gravierende Kopfverletzungen könnten beim Aufprall auf eine Holzwand im Wasser entstanden sein, durch an der Wand befindliche Schrauben. Die Schrauben waren grün. Wenn Hanna wirklich dagegen geschlagen wäre, hätte man in den Wunden grüne Partikel gefunden. Aber man hat kein Nanogramm Farbe entdeckt. Zudem hätte es zwingend viele zusätzliche Begleitverletzungen gegeben, was ebenfalls nicht der Fall ist.
„Unfallthese ist an Haaren herbeigezogen, völlig abstrus“
Focus: Also ein untauglicher Versuch der Verteidigung, vom eigentlichen Tatgeschehen abzulenken?
Holderle: Die Unfallthese ist an den Haaren herbeigezogen, völlig abstrus. Und es ist auch kein Gutachten im eigentlichen Sinne, also von unabhängigen, neutralen Sachverständigen, die ergebnisoffen und vollständig prüfen. Es ist eher eine parteinehmende Stellungnahme, ein Gefälligkeitsgutachten, das im Auftrag und im Sinne der Verteidigung erstellt wurde.
Focus: Glauben Sie, dass die Verteidigung im neuen Prozess weitere Gutachten beantragen oder einbringen wird? Und könnte sich das Verfahren dadurch möglicherweise jahrelang ziehen?
Holderle: Das möchte ich nicht ausschließen. Wir haben das im ersten Prozess gesehen. Da ist alles infrage gestellt worden, teilweise mit extrem naiven Theorien. Und das Gericht muss dem grundsätzlich nachgehen. In dem neuen Verfahren halte ich alles für möglich.
Focus: Wie hat Hannas Familie auf die Freilassung des Verurteilten reagiert?
Holderle: Die Familie ist sehr geerdet, sehr bodenständig. Die Eltern haben es immer wieder geschafft, sich distanziert mit der Situation auseinanderzusetzen und ihre Emotionen im Griff zu halten. Das war auch nach der Freilassung des Angeklagten so. Die Eltern glauben fest daran, dass niemand Interesse daran hat, einen Unschuldigen zu verurteilen.
Eltern leiden unverändert extrem unter Verlust ihrer Tochter
Focus: Wie geht es den Eltern heute?
Holderle: Die Eltern leiden unverändert extrem, auch wenn sie versuchen, sehr diszipliniert zu sein und ihre Gefühle nicht nach außen tragen wollen. Sie versuchen, den Verlust ihrer geliebten Hanna, dieses unglaublich wertvollen Menschen, irgendwie zu verkraften.
Focus: Was bereitet ihnen am meisten Kummer?
Holderle: Die Verteidigung stellt ihre getötete Tochter als Partygirl dar, das angeblich mit sehr viel Alkohol im Blut unterwegs war, in den Bach fiel und starb. Auf der anderen Seite gibt es den angeblich Unschuldigen, der zu Unrecht verurteilt wurde. Das macht den Eltern zu schaffen. Denn sie wissen, dass das nicht wahr ist. Für sie ist es sehr tragisch, dass ihre Tochter, die zweifellos Opfer eines Mordes geworden ist, auf diese Weise dargestellt wird.
Focus: Wie sieht die Familie dem Prozess entgegen?
Holderle: Eine rechtskräftige Entscheidung hätte der Familie einen gewissen Frieden gebracht. Die aktuellen Entwicklungen reißen natürlich wieder Wunden auf. Wenn das Ganze im September neu beginnt, wird es sicherlich noch schlimmer. Wie das Verfahren im Endeffekt ausgeht, ist für die Eltern zweitrangig. Die werden einfach froh sein, wenn es vorbei ist.
Rätselhafte Ankündigung: „Es wird neue Erkenntnisse geben“
Focus: Werden Sie selbst neue Erkenntnisse in den Prozess einbringen, also Dinge, die im ersten Verfahren nicht bekannt wurden?
Holderle: Die Freilassung des Angeklagten hat bei vielen Personen starke Emotionen ausgelöst. Ich könnte mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die etwas über den Fall wissen und zur Aufklärung beitragen können, sich aber bislang zurückgehalten haben. Es könnte durchaus sein, dass so jemand in dem neuen Verfahren auftaucht.
Focus: Können Sie konkreter werden?
Holderle: Im Moment noch nicht. Nur so viel: Es wird neue Erkenntnisse geben.
Focus online am 03.07.2025
https://www.focus.de/panorama/nach-wend ... ecebd.html