Das große Problem in der Medizin ist, dass Häufiges häufig und Seltenes selten ist.Catch22 hat geschrieben: ↑Samstag, 05. April 2025, 05:44:28 … Den medizinischen Hintergrund dieser Thesen verstehen zu können, würde helfen, die Position der Verteidigung besser einzuordnen. Wenn es Dir möglich wäre, zu diesen Punkten Licht ins Dunkel zu bringen, kämen wir wohl alle ein großes Stück weiter. Danke!
Die sogenannte Verteidigerversion findet sich in der Beweiswürdigung des Urteils (Rdnr. 1135–1140):
viewtopic.php?p=289102#p289102
Das macht es daher so gut wie unmöglich einen bestimmten Grund für z.B. eine Verletzung kategorisch auszuschließen oder zu behaupten, dass eine Verletzung nur und ausschließlich durch ein einziges Szenario möglich ist.
Dies heißt konkret, dass es natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass jemand mit seinen Knien mit Wucht einer auf dem Bauch auf dem Boden liegenden Person auf die Schulterblätter springt, dabei über die Spina scapulae beidseitig nach vorne herunterrutscht und dabei mit adduzierten (zur Mitte bewegten) Oberschenkeln die Akromien nach vorne medial unten bricht, aber es ist absolut unwahrscheinlich.
In wie weit Hanna handlungsfähig war, das ist schwer zu beantworten.Catch22 hat geschrieben: ↑Freitag, 07. März 2025, 21:33:48 …
Nach unseren nunmehrigen Erkenntnissen zu acetylierter Glukose und dem Ligamentum coracoacromiale (Band am Schulterdach) lohnt ein genauerer Blick auf den damaligen Beweisantrag der Verteidigerin, auch wenn zu dessen medizinischen Hintergründen bislang nichts öffentlich bekannt ist:
► Hanna sei bei Bewusstsein ins Wasser gelangt und noch handlungsfähig gewesen.
...
Wirft man noch einmal einen Blick auf den Promillewert, so muss man konstatieren, dass sie sicher nicht mehr vollständig Herr über ihren Körper und ihre Sinne war. Ihr Reaktionsvermögen war bei diesem Alkoholwert deutlich eingeschränkt. (Siehe dazu mein altes Posting). Würden über 2 Promille nicht zu Ausfallerscheinungen führen, so bräuchte es auch keine Promillegrenze im Straßenverkehr. Volltrunkenheit wäre dann überhaupt kein Problem mehr.
Nach Lektüre des Urteils ist auch nicht klar geworden, wann und warum Hanna bewusstlos wurde. Eine Kopfverletzung "an Land" hätte eine sichtbare Blutspur hinterlassen und selbstverständlich hätte das Blut auch einen potentiellen Verursacher erreicht.
Schlug sie sich womöglich an einer Brücke den Kopf an und wurde deshalb bewusstlos?
Wurde sie erst durch den Sauerstoffmangel beim Ertrinkungsvorgang bewusstlos? Ertrank sie weil ihr durch das Eindringen von kaltem Wasser ins Ohr schwindelig wurde? Kaltes Wasser kann das Vestubularorgen irritieren, das kann zu Schwindel führen.
Stürzte sie nach dem Erbrechen (der wenige Mageninhalt deutet darauf hin, dass der Rest des Inhalts wohl in der Prien war) oder dem Harn Absetzen (1ml Restharn in der Blase sind ein deutliches Anzeichen für ein Harnabsetzen zu Lebzeiten) in das kalte Wasser und wurde durch den Kälteschock bewusstlos?
Vorstellen könnte man sich nach dem Verlassen des Eiskellers etwas, was der Volksmund mit „Frischluft-Watsche“ bezeichnet und was noch nicht in Gänze medizinisch untersucht ist. Es gibt mehre Ansätze diese „Watsche“ zu erklären, aber eine allgemeingültige Erklärung gibt es noch nicht. Dennoch kennt fast jeder dieses Phänomen: Man trinkt in einem Raum Alkohol, unterhält sich, geht vor die Türe und auf einmal merkt man den Alkohol. Möglicherweise ging es Hanna auch so und sie wollte ihre Eltern bitten, sie abzuholen. Auch mit über 2 Promille kann man noch zweimal eine Taste auf dem Handy drücken und dann den hinterlegten Kontakt mit einmal Wischen anzurufen versuchen. Was man aber mit diesem Alkoholwert eher nicht mehr auf die Reihe bekommt, ist, dass man gar kein Guthaben mehr hat.
Wird man überfallen, so kann man europaweit kostenlos und ohne Guthaben die 110 (Polizei) oder die 112 (Feuerwehr und Rettungsdienst) anrufen.
Zu behaupten, dass Hanna ihre Eltern anrufen wollte, weil sie angegriffen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Bei einem Angriff hätte so ziemlich jeder Mensch die Polizei angerufen. Und zwar egal wieviel Promille derjenige im Blut gehabt hätte.
Wären die Akromien tatsächlich vor dem ins Wasser gelangen gebrochen gewesen, so wäre jedwede Bewegung der Arme schmerzbedingt nahezu unmöglich gewesen.
Weiter halte ich die Schwimmbewegungstheorie für abwegig, denn wer Schwimmbewegungen ausführen kann, der sollte es auch aus einem nicht allzu breiten Bach heraus schaffen, auch wenn er Hochwasser führt. Außerdem hätte sich ein Mensch, der in den Bach geraten ist und noch ein bis zwei Minuten versucht hätte, sich mit Schwimmbewegungen über Wasser zu halten, doch noch den ein oder anderen Laut von sich geben können. Es wurde aber nur von einem Schrei berichtet. Sollte der von Hanna gewesen sein, so stellt dieser Schrei vermutlich den Zeitpunkt dar, zu dem sie ins Wasser gelangte und anschließend bewusstlos wurde.
Nachdem der Körper über mehrere Kilometer nicht flach wie ein Brett und immer auf dem Bauch und Kopf-voraus die Prien hinuntergeschwommen ist, sind die Einblutungen am Rücken eher durch die Kontakte mit Steinen im Fluss als durch ein Aufspringen mit den Knien erklärbar. Die Einblutungen am Hals können auch durch ein sehr weites nach vorne Beugen des Kopfes entstanden sein.
Weil das nachfolgende Bild nicht sonderlich hübsch ist, erscheint es hinter einem
Wären die Akromien tatsächlich durch das von hinten Aufspringen gebrochen, hätten sich weitere Begleitverletzungen an der Schulter zeigen müssen. Darüber habe ich allerdings nichts gefunden.
Weitere Möglichkeiten für den Bruch der Schulterdächer wäre eine Stauchung der Arme in Richtung der Schulterdächer. Dabei darf man sich nicht irritieren lassen, dass die Akromien bei der Obduktion nach vorne gezeigt haben. Solange das Lig. coracoacromiale noch intakt ist, hat ein gebrochenes Akromion keine andere Chance als nach vorne unten und zur Körpermitte zu zeigen.
Möglich ist auch dieses Szenario: Die Strömung verfängt sich in der Jacke, die Arme werden nach hinten oben gerissen/gedrückt, die Akromien brechen und die Jacke wird durch die Strömung abgestreift. Dabei kann sich selbstverständlich ein Ärmel auf links drehen. Nicht außer Acht lassen sollte man in dem Zusammenhang, dass sich eventuell Luft in der Jacke gestaut hat, sie dadurch aufgetrieben ist und auch so die Arme nach oben gerissen werden konnten.
Auch ein Hängenbleiben mit den Armen ist möglich. Dabei muss es nicht zwingend zu Abschürfungen oder Hämatomen kommen. Wobei der Oberarm ja Hämatome aufwies. Diese Hämatome könnten aber auch entstanden sein, weil die Jacke in der Strömung noch eine Zeitlang am Arm zerrte.
Ein Aufprall auf Steine oder Äste in einem schnell fließenden Bach/Fluss kann Akromien brechen lassen.
Durchaus nicht zu unterschätzen sind Bergeverletzungen. Natürlich hat sich die DLRG und die Feuerwehr allergrößte Mühe gegeben, den Leichnam aus dem Wasser zu bergen, aber ist tatsächlich völlig ausgeschlossen, dass im Rahmen der Bergung eben nicht an den Armen gezerrt wurde? Die Leichenstarre war noch vorhanden. Auch bei der Bergung könnten die Akromien gebrochen sein oder zumindest ihre Position in Richtung vorne unten und zur Mitte hin verändert haben.
Wichtig ist, dass man sich davon verabschiedet, dass ein in einem Fluss treibender Körper exakt so nach über 10km aufgefunden wird, wie er ins Wasser geriet. Das ist ja schon bei einem friedlich dahinplätschernden Fluss unmöglich - wie sollte das in einem hochwasserführenden schnell fließenden Fluss mit reichlich Steinen und Stufen im Flussbett möglich sein? Leider scheint die Kammer davon aber auszugehen.